Trojaspiel
Hose zu verbergen, die Hosen über die Knie zog.
Laura ist noch immer nicht beeindruckt, nur gelegentlich tektonische Verschiebungen am Rande des Kissengebirges, ihr Gesicht bleibt verborgen.
Ich bin schon dankbar, wenn sie regelmäßig atmet, wage nur reflexhaft an die Konsequenzen eines Todessturzes zu denken, überlege, welcher Grad von mittelbedingter Zersetzung es meinem Hirn möglich gemacht hätte, ein solches Ende zu ertragen.
Mich treibt es noch weiter fort, denn die Berechnung der notwendigen Dosis fällt zu schwer. Und ich gerate vom Blumenfeld zum dunklen Kerker des Speichers, Jugenderinnerungen, schwatze einfach drauflos, schildere Haftbedingungen und wechselndes Strafmaß, grobe Übergriffe, die ich so stoisch ertrug wie Zack seine Pfütze, bis eines Tages ein Seil über einen Kehlbalken geworfen und eine Schlinge geknüpft wurde, nur daß nicht klar war, ob sie zu Mord oder Selbstmord gebraucht werden sollte.
Dann höre ich ein Wimmern, und augenblicklich stehe ich auf und setze mich neben sie, löse die Kissenlandschaft auf und nehme eine Schönheit in den Arm. Ihr Gesicht ist tränenfeucht, die Augen blind, ihr Haar duftet, während sie jetzt hustet und keucht, prustet und zittert, schnieft und weint. Ein Elend, das in trockene Tücher gehüllt werden muß. Aus dem Wasser gezogen. Meine Hand, die sie jetzt hält, preßt und drückt sie, fürchtet den Wärmeentzug, das Zurückbleiben in einem lebensschädlichen Element.
Laura besitzt eine Reihe von Fotografien, die ihre einzigen Spuren sind in das Leben einer Frau, die ihr mit dem Bronzeteint, dem braunen Lockenkopf und jenem Augenausdruck, der zugleich freundlich und unzugänglich wirkt, wie aus dem Gesicht geschnitten ist. Die immer lästig nahe Kamera an Orten und bei Gelegenheiten, wo sie eigentlich nicht vorgesehen ist (wie etwa bei Hochzeiten und Geburtstagen), hat dabei Schwierigkeiten, ihrem aufdringlichen Geschäft nachzukommen, Ausschnitte sind schlecht gewählt, die Lichtgebung amateurhaft, es fehlt an Schärfe, so daß ihrem Sujet, Lauras Doppelgängerin, zusätzliche Möglichkeiten geboten sind, sich zu verbergen.
Diesen Bildern, die etwa in einem Klassenzimmer der Deering Highschool aufgenommen sind oder in einer kläglichen Garage mit Ausblick auf die Altmetallwüste eines Schrottplatzes, lassen erkennen, daß der Fotograf, aus Mangel an Respekt oder aus übergroßer Neugier, bemüht ist, zu der Person dieser Frau oder einer Erkenntnis von ihr vorzudringen, wie man es versucht bei solchen Menschen, denen man unterstellt, daß sie ihre interessanteren Züge hinter einem Kameragesicht, einer gefälligen, konstruierten Larve verbergen.
Tatsächlich vermutet man, der Fotograf müsse seinem Modell bedingungslos ergeben sein, denn er folgt der Frau an jeden Ort, ist zugegen, als sie mit verkniffenem Gesicht die Überreste einer Maus aus dem Katzenklo hebt, zeigt sie, als sie tapfer lächelnd neben einer Greisin im Rollstuhl sitzt und deren Schal ordnet, er betrachtet ihre alptrunkenen Augen im Moment des Aufschreckens aus dem Schlaf.
Laura kennt wesentliche Daten und äußere Umstände der Biographie jener Frau sehr genau. Aber ein Leben, das aus einem hoffnungslos entfernten Blickwinkel betrachtet wird und von dem nur einzelne Fragmente schlaglichtartig beleuchtet sind, ist, genau wie das Leben des Baumeisters, immer ein Ergebnis der Rekonstruktion und damit, wie der plastische Stegosaurus oder das Gipsmodell von Troja im Museum, eine Phantasie.
Für den, der das Mosaik zusammensetzen soll, kann das einzelne Bruchstück, so alltäglich es für sich genommen sein mag, gleichwohl ein belangvoller Hinweis sein.
Die junge Frau trägt gerne Batikkleider. Als Achtjährige stürzt sie von einem Baum, ein Ast durchbohrt ihre Bauchdecke, verfehlt die Leber nur knapp. Sie interessiert sich für deutsche Lyrik (Vorfahren waren 1884 aus dem fränkischen Ettlingen in die Vereinigten Staaten ausgewandert), sie absolviert eine selbstfinanzierte private Gesangsausbildung in Auburn südlich von ihrem Geburtsort Portland, Maine, studiert jedoch später Geographie und Geschichte an der Northeastern University in Boston.
Die junge Frau auf den Fotos, Lauras Mutter, ist nicht älter als zweiundzwanzig Jahre alt geworden, daran ist Laura schuld.
Sie selbst ist jedenfalls überzeugt davon.
Die Tochter kam im Mercy Hospital in Portland zur Welt. Die Entbindung war eine
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