Trojaspiel
sumpfigem Schmatzen zur Schallwelle wurde. All das erinnerte ihn an die Geräusche (nicht zu reden von den begleitenden Gerüchen), die es beim Gerben auszuhalten galt, wenn er Häute in der mit Eigelb und Mehl versetzten Alaunbrühe drehte. Und obwohl dieser Vorgang selbst für ihn unangenehm war, so blieb er doch notwendig. Aber was sollte er zu diesem Zierbengel sagen, auf den die ganze Welt getrost verzichten konnte? Er war, wie die Galanteriewaren der Firma Bianchi, zu schön und zu fein, um auch noch einen ehrlichen einfachen Zweck zu haben. Er war Luxus, den sein Bruder sich leistete, um das Gefühl zu haben, mehr zu sein, als er war, nämlich der Sohn eines Landwirtes aus Colicia, einem Dorf in Umbrien, in dem es mehr Schweine als Menschen gab. Und bei aller Herzlichkeit und Vornehmheit, die das Erlernen der Schmatzsprache auch mit sich bringen sollte, er behandelte den erstaunlich nachgiebigen Jungen nicht immer gut, hatte ihn zwar ausstaffiert wie einen Adelssproß, aber wenn sie nicht in Gesellschaft verkehrten und Alessandro sich nicht im Abglanz dieser Knabenschönheit und dieses erlesenen Intellekts sonnen konnte, scheuchte er den Jungen herum wie einen Lakaien. Trieb seinen Spott mit ihm, der davon in seiner natürlichen Würde ganz unberührt blieb, behandelte ihn mit der gleichen bäuerlichen Mißachtung, die ihm selbst seitens der oft stinkreichen und komplett verblödeten Kunden zuteil wurde. Am meisten aber plagte Giorgio die Eifersucht. Schon vorher hatte der arbeitswütige Bruder kaum Zeit für ihn gehabt, aber immerhin hatten sie, wenn er zu Hause war, ihre Mahlzeiten zusammen eingenommen, jetzt ließ sich Alessandro entschuldigen, um mit seinem Sekretär in Restaurants zu speisen. In Gegenwart des Jungen schien er sogar auf den Bruder herabzublicken, obwohl jener selbst, in seiner gutherzigen Art, sich freundlicher zu Giorgio verhielt, dessen Handwerkskunst er bewunderte, als gegenüber seinem launischen Boß, dem er nur mit peinlichstem Respekt begegnete.
Und war es nicht so, daß Alessandro gelegentlich in der Werkstatt auftauchte wie ein Geist und den in seine Arbeit vertieften Bruder mit einem so abwesenden und zugleich so brutalen Gesichtsausdruck musterte, daß Giorgio es förmlich spüren mußte, aufschrak und in das Gesicht, das doch sein eigenes war, hineinsah und sich fürchtete?
Giorgio nahm noch einen kräftigen Schluck Roten und rieb sich das Gesicht mit Wasser aus dem Tonkrug neben seinem Glas ab. Rechts schnarchten Fischer an ihren besudelten Tischen. Ein einäugiger Jüngling im Harlekin-Kostüm, der sein Geld als Spaßmacher auf Geburtstagen und Hochzeiten verdiente und es abends in Branntwein anlegte, döste auf einer Bank. Die roten Kreise auf seinen Wangen waren verwischt, um sein gesundes Auge lag ein schwarzer Farbkringel, er sah aus wie eine Bordsteinschwalbe aus Ostia. Die Quakgeräusche kamen von den vier Gestalten am Ecktisch, an dem gewöhnlich Polizeispitzel mit ihren Informanten verhandelten oder die vornehmen Huren aus der Innenstadt Tee oder französischen Cognac tranken. Die Männer trugen Schlapphüte, als wären sie Schäfer, aber unter ihren schwarzen Umhängen aus glänzendem Stoff, zu neu, zu prächtig, sah man gediegene bürgerliche Garderobe hervorblitzen. Mehr mußte man in diesem Lokal, in dem gewöhnlich auch straßenerfahrene Spitzbuben das Terrain sondierten, nicht tun, um aufzufallen. Allerdings sahen die vier Herren am Ecktisch nicht gerade zerbrechlich oder furchtsam aus. Es waren breitschultrige Kerle, mit scharf geschnittenen Gesichtern. Abgesehen von ihrer lächerlichen Tarnung schienen sie sich einen Dreck um Halunken und halbseidenes Volk in der Wirtschaft zu scheren. Einer von ihnen, ein großer Kerl, der Reitstiefel und eine taubenblaue Hose trug und stehend an die zwei Meter groß sein mußte, schien Giorgio besonderer Aufmerksamkeit wert zu sein. Nicht wegen der blonden Locken, die unter seinem Hut hervorquollen, der blauen Augen und des leicht einfältigen, aber militärisch strengen Gesichtsausdrucks (er sah weniger furchteinflößend aus als seine Gesprächspartner), sondern, weil er Schwierigkeiten mit der Schmatzsprache zu haben schien. Er sprach sie nicht am Gaumen, sondern weit vorne im Mund, er sprach diese schweren, schlurfenden Worte wie ein Vogel. Genauso, wenngleich im Ton weniger bestimmt, klang Alessandro, wenn er Russisch übte. Wie ein Schöngeist, der sich zu Sprachstudien in einen Weinkeller zurückgezogen
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