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Trojaspiel

Trojaspiel

Titel: Trojaspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Hoepfner
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gegensätzliche Vorstellungen.
       In Genua lernt er in einem Speiselokal einen ungewöhnlichen Jüngling kennen, einen einfachen Kellner, der jedoch ganz ungezwungen mit seinen betuchten Gästen, Kaufleuten, Diplomaten und Reisenden in ihrer jeweiligen Landessprache plaudert. Selbst unter diesen in feinstes Tuch gekleideten, weltgewandt und geistreich konversierenden Nabobs wirkt der Knabe in seiner abgetragenen Kellner-Livree wie ein Juwel unter lauter minderwertigen Glasperlen. Ein Flüchtling aus dem Zarenreich? Der slawophile, überaus belesene Bianchi ist angetan von der Schönheit und Bildung des Knaben, er bietet ihm eine Stellung als Sekretär an, hauptsächlich, um von ihm Russisch zu lernen.
       Der Sohn schickt einen prüfenden Blick an sein Publikum.
       »Nein, meine Herrschaften, mehr war da wirklich nicht im Spiel, wie amüsant dieser Gedanke sich auch ausmalen lassen würde. Der lebende Beweis sitzt schließlich vor Ihnen.«
       Aber war es das, woran wir dachten?
       Unvorbereitet auf unsere Reisegruppe, hatten sich trotzdem genau vier Stühle im Büro des lederhäutigen Firmeninhabers gefunden. Wir saßen nebeneinander, Laura, meine Hand umklammernd, hatte den Kopf gesenkt, gelegentlich empfing ich Zeichen ihrer Augen durch den Lockenschleier, die nicht zu deuten waren. Sah sie mir meine Aufregung an? Prüfte sie insgeheim das Pochen meines Fingerpulses und schämte sich dafür, soviel von mir zu wissen? War sie überhaupt bei sich oder in Gedanken schon wieder in der Nähe des Wassers, um die Qualität unserer Verbindung, ihren dämpfenden Charakter auf die Probe zu stellen?
       Zack hat die Sonnenbrille abgenommen und hält, seine unbedingte Bereitschaft zum Widerstand signalisierend, die Arme vor der Brust verschränkt. Er bedroht die Augen des Mumienmannes mit einem kalten harten Blick, maddogging nennt er das, ein Kräftemessen, das gewöhnlich dem physischen Schlagabtausch vorangeht, ihn im besten Fall überflüssig macht. Seine Bank und sein Revier im Untergrund hat er damit freihalten können. Hier zielt seine Macht ins Leere. Und so wird er schließlich, ich kann das spüren, nervös. Sein Blick streift abgelenkt über die polierte Holztafel an der Wand, auf der die Sattlernadeln, Ahlen, Lederscheren, Lochzangen und ein Punziereisen, womöglich die Originalwerkzeuge des Meisters, montiert sind. Und die Vorstellung, daß ein sich hier anbahnendes Übel oder jenes Wolfsgrinsen nur unter Zuhilfenahme aller dieser Werkzeuge, einschließlich des Messers in seiner Hosentasche, ausgetrieben werden kann, ergreift langsam Besitz von ihm, synchron zu der wachsenden Feuchtigkeit auf seiner Stirn.
       Mahgourian schließlich zeigt mühsam ein Pokergesicht. Seine Ahnung, bei Bianchi könne es sich nur um einen Verbrecher handeln, schon weil er wie ein Teufel aussieht, jemanden, der folglich Ausflüchte sucht und dem wir nicht vertrauen können, hat sich unter Umständen bestätigt. Der alte Hotelier denkt tapfer nach. Was richtig und falsch, wahr oder unwahr ist, das sollte man schließlich so unbeeindruckt von der bloßen Erscheinung des Mannes wie möglich, vor allem aber: diskret abwägen.
      
       Slawophil sei der Vater also gewesen, so der Sohn. Jemand, der glaubte, daß die russische Seele, die er zuvor bei Schriftstellern, und zwar nur dort, entdeckt hatte, Westeuropa aufhelfen könne aus seiner geistigen Verrohung und dem Sumpf seiner Menschenfressermoral.
       »Was er damit meinte?« (keuchendes Lachen des Sohnes)
      
       »Ich weiß es nicht! Den Gegensatz zwischen arm und reich? –
       Nun, er verkaufte sehr erfolgreich sündhaft teures Reisegepäck an Fürsten und Millionäre. Er hatte deswegen vielleicht ein nervöses Magenleiden – denn so ein Mann wie er, der besaß natürlich auch gewisse Träume . . .«
       Träume, die nicht selten ablenkten vom Geschäft. Bianchi verdrehte die Augen und faltete in einer mokanten Geste die Hände. Warum war der Vater nicht Dichter geworden? Warum in das stickige Elend des Bauernstandes hineingeboren? Welche Mißachtung der Natur für seine ungewöhnlichen Anlagen! Warum konnte er nicht selbst als reicher Fürst, dem Daseinskampf enthoben, Bedürftige fördern, den Armen helfen, ein paar feinsinnige Gedichte verfassen und ganz selbstverständlich teuerstes Reisegepäck bei demütigen Handwerkern erwerben, weil es seiner edlen Natur einfach zukam? Welche Ungerechtigkeit allein in seiner Herkunft lag! Und dann der Dünkel

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