Trojaspiel
Leiche, die man in Kleider gehüllt hat. Er betrachtet uns jetzt, zurückgezogen hinter eine Fratze, die mühelos Schrecken verbreitet, ohne dabei selbst eine Verlegenheit zu verraten oder überhaupt irgendeine Anteilnahme. Ein lebloses Götzenbild starrt so oder ein ungerührter Totenwächter an der Bahre, der mit der pendelnden Zigarrenhand vor der Brust die Zeit der Leichenwache mißt. Zacharias murmelt etwas von der Begegnung mit Außerirdischen, aber ich wünsche mir, den Blick dieses Mannes zu besitzen, keinen Seelenspiegel, sondern eine Panzerung, wie die Steinplatte einer Gruft, hinter der sich alles bis zum jüngsten Tag verbergen wird.
Seine Stimme klingt näselnd und spitz, wie die eines Menschen, der herausgefordert ist, etwas zu sagen, aber es eigentlich für unter seiner Würde hält. Der Unbekannte spricht englisch mit dem weichen Akzent seiner Landsleute, wenn sie als Windhunde und Herzensbrecher durch einen Hollywood-Film scharwenzeln.
»Er hat gesagt, jemand würde hier auftauchen, vielleicht in zehn, vielleicht in hundert Jahren. Aber er hat nicht von einer Reisegruppe gesprochen.«
Sein Spott wirkt gelangweilt. Niemand antwortet ihm. Der Mann verzieht sein Gesicht zu einem unglaublich breiten Grinsen, bei dem er ein Wolfsgebiß entblößt, große Zähne, die so gerade, weiß und glänzend in Reihe stehen, als wären sie dem alten Schädel eingefügt worden, nur um die Bedrohlichkeit seiner Grimassen noch zu verstärken.
So sieht der Teufel aus, denke ich unwillkürlich.
Auch Mahgourian schweigt noch immer, er ist, wenigstens für einen Augenblick, bedrückt, als habe er das Übergewicht einer Macht vor Augen, die schon so alt ist, unendlich viel älter als er, und die ihm immer widerstehen wird.
»Herr Bianchi?« fragt er dann mit hinfälliger Stimme. Der Mumienmann, der jetzt unmittelbar vor uns steht, nickt leicht und setzt, um weitere Schockwirkungen zu unterbinden, jetzt ein sanftes Lächeln auf, undurchschaubar – wie das der Gattin des Herrn Giocondo.
Die Fotografien der Zwillingsbrüder Bianchi im Büro des jetzigen Firmeninhabers und Sohns des etwa dreißig Sekunden älteren der beiden geben uns eine Vorstellung davon, wie Herr Giocondo, der verschollene italienische Reisende, ausgesehen haben könnte. Die gleiche majestätisch das Gesicht beherrschende Nase, die gleichen stechenden Augen wie unser Gegenüber, ein ebenso schmales, ausgezehrt wirkendes Gesicht, das allerdings auf den verschiedenen schwarzweißen Fotografien fast krankhaft bleich aussieht, während das Gesicht des Erben – geboren in dem Jahr, als Mussolini von König Vittorio Emanuele III. (auch ein Kunde) zum Ministerpräsidenten ernannt wurde – die rötliche Farbe rohen Fleisches hat.
Obwohl der gegenwärtige Herr Bianchi seinen Vater als einen humorvollen, außerdem politisch sehr leidenschaftlichen Kulturmenschen mit einigen sehr ungewöhnlichen Ideen beschreibt, klingt sein Bericht alles andere als herzlich oder teilnahmsvoll, er hat, wie offenbar jedes Wort, das den Mund des Kaufmanns verläßt, einen spöttischen Unterton. Aber Bitterkeit möchte man ihm trotzdem nicht unterstellen. Im Gegenteil, seine Augen strahlen um so mehr, je größer das Unglück ist, das er gerade schildert. Er bleckt die Zähne voller Lust und ballt die zitternden Fäuste in elektrisierter Freude, wenn er erkennt, daß er gewisse Befürchtungen seiner Zuhörer noch übertroffen hat, wenn die zu Kräften gekommene Stimme Mahgourians, die Präzisierungen fordert, wieder zaghaft und leise wird.
Sein Vater sei ein Genie gewesen, berichtet der Sohn, und er sagt es wie jemand, der sich über einen Trottel lustig macht. Das im Umgang mit Kunden verbindlich demütige, im Beherrschen der materiellen Grundlagen des Geschäftes unerbittliche Gegenstück zu seinem Bruder, dem gottbeschenkten Handwerker, der Leder so zart machen konnte wie menschliche Haut und der es verstand, die luxusbedürftigen Adligen und Großbürger mit einer wahren Gier nach den Produkten seiner Werkstatt zu erfüllen, die man sonst nur für lebendiges Fleisch empfinde.
Bianchi brüllt bei diesen Worten fast und schüttelt seine dürre Faust über dem Schreibtisch, den Daumen obszön durch die Finger gesteckt.
Es seien die vielen Reisen gewesen, erfahren wir, die den Horizont seines Vaters erweitert haben, bis zu dem Punkt der Unschärfe, der Verblendung seines Krämerverstandes durch zu viele, zu
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