Trojaspiel
seiner hochwohlgeborenen Kunden. Wie schlecht sie ihn doch behandelten!
Der Gegensatz also zwischen arm und reich oder einer sensibel gewordenen Krämerseele und irgendeinem dahergelaufenen Baron von Rotz, der, steinreich, aber kaum alphabetisiert, pöbelt, beleidigt und kujoniert, seinen kostspieligen Lieferanten demütigt, durch seine soziale Stellung, die Schönheit seiner Mätressen und seine Zahlungsmoral? Natürlich, je reicher diese Herren waren, um so weniger wollten sie bluten. Die schöngeistige Verblasenheit des Geschäftsmannes Bianchi oder seine krankhafte Geltungssucht (bilden Sie sich doch selbst ein Urteil, meine Herrschaften!), machten ihn empfänglich für einen jungen Russen, der ungeheuer gebildet, aber dem Augenschein nach mittellos und damit ein dankbares, schnell in Abhängigkeit zu bringendes Opfer einer cholerischen Menschenfreundlichkeit war.
Der Bruder, ein Handwerker, hatte irdischere Bedürfnisse, er soff wie ein Loch und suchte Streit in düsteren Kneipen, wenn er, eigentlich ein sanftes Schaf, nur genügend getrunken hatte. Der Lederkünstler war kein wirklicher Schläger, er schwang nur ein- oder zweimal seine eindrucksvoll zerstochenen Fäuste, um dann seinem Kontrahenten heulend um den Hals zu fallen und ihn für den Rest des Abends freizuhalten. »Nein, es reicht eben nicht aus, wenn jemand nur ein erfolgreicher Geschäftsmann ist und ein anderer ein gottbegnadeter Handwerker. Dieser Überfluß, er sehnt sich nach Bestrafung!«
In den Kneipen, die Giorgio Bianchi besuchte, mit seinem schmutzigen Leinenhemd und dem abgetragenen, stinkenden Kittel, den er auch trug, wenn er Tierhäute ausfleischte, kannte man ihn nicht, hielt ihn für eine der familienflüchtigen Saufnasen aus dem Arbeiterviertel Trastevere, einen harmlosen Tropf, dem Trinksport ergeben. Niemand wußte, daß er in einer Villa auf dem Esquilin lebte, zwei Diener und zwölf Lehrlinge beschäftigte und einer der wenigen Italiener war, dessen Name sogar der russische Zar kannte und mit Respekt aussprach. Vielleicht wurde ihm das zum Verhängnis. Eines Abends hob Giorgio sein Gesicht, das infolge vorhergehender Ausschweifungen die karmesinrote Farbe des feinen Maroquinleder-Handtäschchens hatte, mit dem er gestern noch sein bislang erfolgloses Liebeswerben um eine junge Lehrerin auf den Höhepunkt gebracht hatte, hob es noch ein Stückchen über Glas- und Flaschenränder, bis er in den Nebelschwaden, die durch den dunklen, verwunschenen Ort, an den er geraten war, die vertrauten Konturen des Ziegenbocks erkannte, einer Schenke, in der die etwas unscheinbareren Spitzen der Gesellschaft sich einfanden, wenn sie nicht standesgemäßen Vergnügungen, wie etwa dem Geschlechtsverkehr in Séparées oder dem Kartenspiel um Geld, nachgehen oder sich einfach nur besinnungslos saufen wollten. Giorgio fühlte einen stechenden Schmerz an seiner Wange, untersuchte, so gut es ging, die betreffende Außenseite seines Gesichtes mit der Zunge und schmeckte Blut. Dunkel erinnerte er sich an die gelbgesichtige Brünette in dem Jahrmarktskostüm aus billiger Kunstseide, der er an die Brüste gefaßt hatte, nur um sie einer dem Handwerker obliegenden, ganz gewöhnlichen Materialprüfung zu unterziehen. Die Dinger konnten nicht echt sein, ganz gewiß nicht, und jenes Gefühl, das er empfand, als er mit gestreckten Armen, ohne Vorwarnung, in die überhängenden Kugeln kniff, war dasjenige, das er spürte, wenn er den Blasebalg an der Hupe von Alessandros nagelneuem Hispano-Suiza drückte, nur daß es nicht trötete, sondern ein wildes Weibergezeter losbrach und eine Attacke gegen sein Gesicht einleitete, begleitet von dem Gelächter der übrigen Gäste, die die beiden prallen Gummibälle, die aus dem Dekolleté der verwelkten Schönheit gesprungen waren, über den schmutzigen Boden der Schankstube traten.
Aber das war schon Stunden her. Und jetzt? Jetzt wollte ihn ein neuer Teufel reiten, denn die verhaßten Laute, jenes Quaken, das seit einigen Monaten durch das Haus der Bianchis klang, jene Sprache, von der sein Bruder behauptete, daß sie vornehmer und zugleich herzlicher sei als alle anderen europäischen Kultursprachen, sie erfüllte in dem Wachtraum, in dem er sich gerade befand, das ganze Lokal. Er konnte an dieser Sprache nichts finden, nicht nur, weil er sie nicht verstand, sondern weil sie aus der Tiefe der Kehle kam und dabei scheinbar noch Unmengen Speichel im Mund verquirlen mußte, bis sie feucht und mit
Weitere Kostenlose Bücher