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Trojaspiel

Trojaspiel

Titel: Trojaspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Hoepfner
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hatte, sah dieser blonde Siegfried freilich nicht aus. Die Männer am Tisch hingen fast ergeben an seinen Lippen, und obwohl sie selbst, der Beherrschung der Sprache nach, waschechte Russen sein mußten, staunten sie ehrfürchtig angesichts der Trinkfertigkeiten des schneidigen Recken mit der blonden Mähne, der Gläser ausschließlich zu dem Zweck ansetzte, um sie in einem Zug hinunterzustürzen, während seine Begleiter, aus Erfahrung oder einem Mangel an Verwegenheit, sich etwas mehr Zeit ließen und zwischen den Schnaps- und Weingläsern auch dem Wasserkrug zusprachen.
       Eigentlich hatte Giorgio, der nach zwei weiteren Gläsern Primitivo ein Gefühl spontaner Sympathie für den Blonden gefaßt hatte, weil er einerseits in seinem Gebrauch der Grunzsprache seinem Bruder, andererseits in seiner Stattlichkeit dem Russenbengel ähnelte, eigentlich hatte er nur auf den Tisch der Herren zusteuern wollen, um mit Würde festzustellen, daß auch er in einer gewissen Beziehung zu der in Latium eher ungebräuchlichen Sprache stand und daß er, obwohl sein Herz vermutlich gerade gebrochen war, doch stark dafür plädieren wolle (obwohl er eigentlich nur ein einfacher Handwerker war), daß die Menschen alle miteinander Brüder seien, egal welche Sprache aus ihrem Mund kam, und, wie der Senator Croce einmal gesagt hatte, man deshalb überall, auch in Lokalen, in denen die Beleuchtung so schlecht war wie hier, aneinander glauben und einander lieben solle. Und um den Beweis für die Lebensfähigkeit dieser These anzutreten, war er sogar bereit gewesen, den ganzen Ecktisch formlos, man war ja unter sich, auf eine Runde Champagner einzuladen.
       Aus irgendeinem Grund jedoch gelang es ihm nicht, diese beeindruckende Rede in überzeugender Form vorzutragen, er hielt sich mit beiden Händen am Tisch der vier Herren fest und stierte jedem von ihnen, um zunächst ein wenig Vertrautheit herzustellen, aus nächster Nähe ins Gesicht. Gerade sein blondgelockter Liebling aber war es, der die ehrbaren Annäherungs-versuche unwirsch im Keim erstickte. Er stieß Giorgio mit der flachen Hand vor die Brust, sagte etwas, das klang wie: Pack dich, du Bauer!, und hatte, während der Handwerker theatralisch oder als sei die Szene so verabredet beide Arme von sich streckte und flach auf den Rücken stürzte, seine Aufmerksamkeit schon wieder den drei anderen Herren zugewandt.
       Das ist nicht die Schmatzsprache gewesen, fuhr es Giorgio undeutlich durch den Kopf, als er wieder zu Atem kam, und er fühlte sich an den Baron von Rotz aus Hannover erinnert, dessen Gesicht aussah wie ein unregelmäßig aufgegangener Hefefladen, wie getrockneter Schlamm, und dessen Schweinsäuglein eine Dumpfheit besessen hatten, von der sich selbst die Sauen in Colicia angewidert abgewandt hätten.
       Dieser aufbrausende Kerl, der seinen Bruder bis aufs Blut gedemütigt hatte! Ein deutscher Junker, der, so reich er auch sein mochte, im Stammbaum der Hominiden auf den unteren Ästen herumturnte und sehnsuchtsvoll, aber ohne jede Chance, durch sein Monokel die Wesen im oberen Stockwerk betrachtete, die sich immerhin schon mit Höhlenmalerei beschäftigten.
       Dergleichen Dinge gingen Giorgio durch den Kopf, während er die schmutzstarrende Decke des Lokals betrachtete und unschlüssig darüber war, ob er die ganze Affäre einfach als beendet betrachten, die Augen schließen und einschlafen sollte oder ob hier ein persönlicher oder gar nationaler Affront vorlag, der geahndet werden mußte. Um die Sache aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten und weil er es im übrigen noch nie getan hatte, begann er schließlich, sich über den Boden zu rollen, den Kopf haarscharf an Stuhl- und Tischbeinen vorbeizirkelnd, wobei er zunächst feststellen mußte, daß der Boden der Schenke nicht weniger schmutzig war als die Decke. Einige Minuten vergingen so, und Giorgio stellte weiterhin fest, daß das Karussell, welches sich in seinem Kopf bewegte, nicht annähernd so schwindlig machte, wenn man sich in Gegenrichtung auf dem Fußboden drehte. Er hatte die eben erlittene Demütigung schon fast vergessen, als seine Nase und die brennenden Wangen nicht mehr die schmutzigen Holzdielen, sondern angenehm kühlenden Steinboden fühlten. Der Handwerker war, ohne es zu bemerken, in die Küche gerollt, und als er jetzt den Kopf ein wenig anhob, um sich seiner neuen Umgebung zu vergewissern und ein paar Eindrücke für spätere Betrachtungen zu gewinnen, blickte er in das

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