Trojaspiel
erschrockene Gesicht eines seltsamen zotteligen Mischwesens, das möglicherweise vorher schlafend an den Ofen geschmiegt, jetzt durch den in die Küche gelangten Gast aufgeschreckt worden war. Das struppige Geschöpf trug ein geblümtes Kleidchen und war über und über mit Mehl bestäubt, im Gesicht und in den Haaren klebten Reste von Nudelteig. Giorgio konnte sich trotzdem nicht entscheiden, ob es sich bei dieser Kreatur um ein kleines Mädchen oder einen verkleideten Pudel handelte. Er streckte vorsichtig einen Finger aus, um die Nase dieser Erscheinung zu berühren (weil er wußte, daß Hunde kalte, Mädchen aber warme Nasen haben, zumal, wenn sie neben dem Ofen schliefen). Noch bevor er jedoch sein Vorhaben ausgeführt hatte, schnappte das kleine Ungeheuer nach seinem Finger und biß heftig hinein. Giorgio zuckte zusammen, und das Mischwesen erhob sich und lief laut plärrend auf zwei Beinen davon. Weitere Nachforschungen waren also nicht nötig. Einen kurzen Augenblick von Klarheit nutze Giorgio jetzt, um sich am warmen Herd aufzurichten. Direkt dort vor ihm auf der Flamme kochte eine leckere Rinderkeule im Topf, ein Kessel mit heißem Wasser daneben summte ein kleines Lied, und Giorgio, der unversehens begriff, wie sehr er die gemeinsamen Abendessen mit seinem Zwillingsbruder vermißte, begann plötzlich ganz ungeniert zu heulen. In den verschiedenen Flaschen und Krügen, die auf dem Tisch, um den Fleischerblock und den Ofen herumstanden, fand der Trostsuchende, der aus jedem der Gefäße probierte, trotz genauester Prüfung weder Wein noch Schnaps, und als er dann das laute Lachen des Deutschen aus dem Schankraum hörte, gefolgt von einem teutonischen »zum Teufel!« wie es Baron von Rotz nicht eindrucksvoller hätte ausstoßen können, als er das muntere Glucksen von Weinflaschen hörte, aus denen eifrig nachgeschenkt wurde, bekam er zum ersten Mal in den schätzungsweise zehn Jahren, in denen er sich in seiner Freizeit dem Trinksport widmete, einen heftigen, wirklich ernsten Wutanfall. Sein Blick, der vergeblich an einer Weinflasche Halt gesucht hatte, fiel unglücklicherweise auf das Beil, das in dem Fleischerblock steckte. Und ohne genau zu wissen, weshalb, zog er es ab und wankte damit zurück in den Schankraum. Eine Verkettung unglücklicher Umstände, die aufgrund eines Mangels an aufnahmefähigen Augenzeugen nie vollständig geklärt werden konnten, führte schließlich zu dem Zwischenfall, der das Leben der Familie Bianchi in der Zukunft nachhaltig beeinflussen sollte.
Als verbürgt gilt, daß, als der blonde Recke (jung, wendig, furchtlos, aber betrunken) und sein Herausforderer (kräftig, zäh, entschlossen, aber ebenfalls stark angeschlagen) nunmehr gemeinsam, sogar eng umschlungen, über den Boden rollten, die Begleiter des deutschen Herrn das Hasenpanier ergriffen und sich aus dem Staub machten, ohne zu zahlen. Erwiesen ist auch, daß der wütende Siegfried, um den ›stinkenden Schweinehirten‹ endlich loszuwerden, einen Derringer aus seinem Cape zog, aus dem sich ein Schuß löste und welcher ihm im nächsten Augenblick von seinem Kontrahenten aus der Hand gewunden wurde. Als sicher gilt ebenfalls, daß Siegfried vor seinem Verschwinden (auch er blieb nach Junkerart die Rechnung schuldig) einen Moment des Zögerns seines Gegners ausnutzte, um ihm mit einem kurzen, gezielten Hieb, die Hand, die jene eroberte Taschenwaffe hielt, mit dem Fleischerbeil vom Arm zu hacken.
»Die Hand, die kostbare Hand!«
Giorgio erblickte den Stumpf seines rechten Armes, aus dem das Blut wie aus einer Wasserpumpe hervorschoß, mit kraftlosem Entsetzen, seine Gedanken rasten, das, was da vor seinen Augen passierte, wenn es denn kein Traum war, diese unglaubliche Verwundung (Schmerz empfand er kaum), sie würde in jedem Fall das Ende seines Lebens bedeuten . . .
Die Firma, die Arbeit, das Glück seiner jetzigen und jeder zukünftigen Familie, es hing an der Geschicklichkeit seiner beiden Hände, niemand würde die Arbeit eines Krüppels schätzen, und keiner von seinen Lehrlingen würde jemals mehr als ein erstklassiger Zuarbeiter sein, bei einem Handwerk, das im Maßstab der Bianchischen Perfektion, er wußte das, bei aller Bescheidenheit, nicht erlernbar war.
Als Handwerker, der er nun nicht mehr sein konnte, überflog er mit einem letzten kritischen Aufbegehren seiner unerreichbaren Kunstfertigkeit die Möglichkeiten eines anderen Metiers, während er die eine noch warme, noch so
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