Tropfen im Ozean
Warnung Jimmis fiel mir ein. Ich rief ihn an.
„Jimmi, wann ist das Interview mit den Produzenten?“ fragte ich.
„Nächste Woche, Montag, Café Amapola, Fußgängerzone. J hat gemeint, es wüsste kaum einer außer uns, aber jetzt steht’s in jeder Zeitung“.
„Also volles Rohr ... oh... ich hasse das... da müssen wir uns durch die ganzen anderen Reporter wühlen! Haben wir da überhaupt eine Chance auf ein Interview?“
„Keine Ahnung. Wir müssen flexibel bleiben“.
„Mann, das ist ... Paparazzi-Arbeit! Das ist nicht das, was wir tun sollten“.
„Tja, uns wird nix anderes übrig bleiben nach dem Anschiss von J neulich“.
„Ja, da wollte ich auch mal fragen... wie geht es dir damit?“
Jimmi schwieg eine Weile. Dann sagte er:
„Wenn der Arbeitsmarkt besser wär, wär’ ich schon längst weg. Aber sobald ich was habe, kann mich J mal kreuzweise. “
Ich stellte fest, dass das die Meinung aller war, als wir zusammen zum Seminar fuhren. Rob hatte einen kleinen Bus besorgt, den wir uns von den Kosten her teilten, und er machte seinem Ruf als Stimmungsmacher alle Ehre, indem er die Adelgunde-Geschichte zum Besten gab und die Leute nebenbei darüber aufklärte, dass es kein Heulkrampf gewesen war, der mich im Schulungsraum befallen hatte, sondern genau das Gegenteil. Die Fahrt war durchdrungen von „Herr!“-Rufen und „diese-meine Hände“, sowie derben Witzen von Bernd, Jimmi und den übrigen Männern.
Gerda, die als Einzige freiwillig mitfuhr, weil sie das mal erleben wollte, packte aus ihrer Kühltasche Brötchen für die ganze Mannschaft aus, belegt mit allen möglichen leckeren Sachen. Herzhaft biss Bernd in ein Schinkenbrötchen, als Elisha ihn anmachte, er möge sich doch bewusst machen, was er da esse. Das sei ein totes Tier, noch dazu vollgepumpt mit Betäubungsmitteln, das, nachdem es vorher freudlos und tier-unwürdig in der Massenanstalt mit schlechtem, hormon-behandeltem Futter gemästet worden sei, zur Schlachtbank getrieben werde, und voller Angst vor dem Tod sein ganzes Angst-Adrenalin in seine Muskeln entleere. Und da das Fleisch gleich danach verarbeitet werden würde, enthielte es eine hohe Konzentration von Sedativen und Angst- Adrenalin, was die Menschen müde und aggressiv mache. Schweinefleisch sei der Weg zu Rheuma, Gicht und Gewalt. Bernd kaute schuldig auf dem Schinken herum. Ich stieß Elisha an.
„Lass ihn“, sagte ich. „Das muss jeder selbst wissen.“
„Aber wenn es doch keiner sagt, dann erfahren sie es nie!“ widersprach sie. „Die Leute müssen das erfahren!“ Sie wollte ihm gerade das YouTube-Video von der weinenden Kuh zeigen, die zur Schlachtbank geführt wurde, da entdeckte sie Brötchen, die mit Frikadellen belegt waren. Angewidert sog sie die Luft ein.
„Gerda, wie würdest du dich fühlen, wenn du auf einem fremden Planeten wärst und du würdest von den Bewohnern als niedere Lebensform angesehen und daher in einen Pferch mit tausenden anderen Menschen gesteckt und mit minderwertigem Essen gemästet werden? Wie würdest du dich fühlen, wenn ihr euch gegenseitig vollkacken müsstet, weil kein Platz ist und du dann maschinell getötet und durch den Fleischwolf gedreht wirst, damit aus dir Hackfleisch gemacht werden kann, das dann die Bewohner dieses Planeten fressen? Und aus dem sie noch nicht einmal dein Blut waschen! Hast du das Hackfleisch gewässert? Oder ist da noch das ganze Blut drin?“
Gerda verzog den Mund. „Gewässert?“, fragte sie unsicher. „Du immer mit deinen Ideen... das ist ja grauenvoll, was du da sagst!“
„Das sind keine Ideen!“ fauchte Elisha. „Das ist die Wahrheit! Nur will die keiner sehen, weil euch Bequemlichkeit über alles geht! Ihr wollt Fleisch, noch dazu so billig wie möglich, ihr rennt in Fastfood Restaurants, die Hamburger für einen Euro verkaufen... ich verstehe die ganze Aufregung um den Pferdefleisch-Skandal nicht! Rinder fresst ihr! Pferde nicht! Ein Rind ist auch ein Tier! Wo ist der Unterschied? Und ihr habt es noch nicht einmal gemerkt, dass ihr Pferdefleisch esst, wenn es nicht in der Zeitung gestanden wäre! Die Felder verarmen, weil nur noch Mais für die Tierfutterindustrie angebaut wird, mit dem euer riesiger Fleischkonsum gestillt werden soll! Ihr wollt Erdbeeren im Winter und Mahlzeiten, die sich von alleine kochen! Und am besten alles für 99 Cent! Es ist euch egal, ob eure Klamotten von Kindern gemacht werden, deren Hände vom Gift in den Färbemitteln total verätzt sind
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