Tropfen im Ozean
hatte bereits angedeutet, dass er bald das Zelt abbauen würde, da er es nicht beheizen wollte. Alles roch nach Umbruch und Abschied. Dazu kam die gesamte Situation in der Firma, die sich so zuspitzte... die Sorglosigkeit des Sommers schien vorbei. Trotzdem hoffte ich, sie möge in einen gemütlichen Winter mit vielen Gesprächen übergehen.
WOM stand in einer warmen Daunenjacke an der Tür. Wie immer lächelte alles an ihm, seine Augen, sein Mund, Gesicht, sein ganzer Körper drückte diese Heiterkeit und Freude aus und immer, wenn ich ihn nur spürte, wenn ich nur in seiner Nähe saß, fühlte ich dieses Nach-innen-ziehen, die Implosion im Herzen, die diese von allem unabhängigen Glücksgefühle produzierte. Seine Gegenwart war im wahrsten Sinne des Wortes erhebend und nach dieser Woche mit den Sexkanal-Produzenten, E!Liza, J, und dem ganzen Mist, fühlte ich das ganz besonders deutlich.
Alles ging leichter, wenn ich bei ihm war. Ich verstand mehr, meine Meditationen waren besser und ich konnte mich in seinen schlichten Grundsätzen festigen. Das, was er lebte, war so weit weg von der mir bisher bekannten Pseudospiritualität, die nichts als nur eine Modeerscheinung war, eine andere Art, das Ego aufzuplustern. Erst vor kurzem hatte Emilie verkündet, sie werde sich ab sofort vegetarisch, wenn nicht sogar vegan ernähren, verurteilte alle, die es nicht taten und wollte doch nur eines damit: sich von anderen abheben.
Ich erzählte WOM von den Geschehnissen der letzten Tage, von Florian und meinen Gefühlen ihm gegenüber und zu meiner Überraschung wiegte er bedächtig seinen Kopf hin und her.
„Jetzt wird’s heiß“, sagte er.
„Bitte?“
„Jetzt ist es wichtig, dass du dich für alles öffnest, was kommt“.
Und da ich mit einem besonders schnörkeligen Fragezeichen im Gesicht neben ihm saß, drehte er sich zu mir, beide Hände auf den Knauf seines Stockes gelegt.
„Wir haben nicht mehr so viel Zeit“, sagte er und als Antwort auf meinen erschrockenen Blick machte er eine Geste zum Wald hin. „Der Winter kommt.“
„Können wir uns im Winter nicht sehen?“ fragte ich bang. „Wo wirst du sein, wenn der Schnee fällt? Hast du eine Bleibe?“
„Keine Sorge, mein Kind, ich bin gut untergebracht“, kicherte er. Und als er meinen ängstlichen Blick sah, fügte er amüsiert hinzu: „Ich werde auf keinen Fall frieren!“.
„Okay“, sagte ich unsicher. „Aber können wir uns sehen? Notfalls im nächsten Frühling? Auch, wenn ich nicht weiß, wie ich es ohne dich so lange aushalte... aber bitte...bitte...“
Seine Augen waren in die Ferne gerichtet, ob er mich hörte, wusste ich nicht, aber er sah etwas, was ich nicht sah. Sein Gesicht war ernst, sehr ernst sogar, auf eine Weise, die mich beunruhigte.
„Du musst jetzt mutig sein“, sprach er. „Geh nicht zurück“.
„Was meinst du damit?“ fragte ich. „Ist was mit Florian? Was meinst du mit: jetzt wird es heiß? Oder ist es...“
„Hör mal, mein Kleines“, unterbrach er mich in einem Ton, der mir klarmachte, dass er danach nichts weiter preisgeben würde. „Es wird Zeit. Geh deine Eltern besuchen. Das hattest du schon lange vor. Und öffne dich für alles, was kommt. Versprich mir das“.
***
Florian war mit mir aufs Land gefahren zu einer Scheune, wo sein zu restaurierender Jaguar stand und hatte mir tausend Details erklärt, die ich sofort wieder vergaß, sowie er sie mir sagte. Aber er war mit einer solchen Liebe zum Detail bei der Sache, dass es pure Freude war, ihm zuzuhören. Er fuhr das Auto nicht, um zu protzen, sondern war richtiggehend verliebt in das Teil. Ich musste, wie so oft, an WOM denken, daran, dass er gesagt hatte, dass wir den Dingen, Situationen und Personen unsere Energie einverleiben. Es war süß, Florian von seinem Auto schwärmen zu hören. Sanft strich ich über den eisblauen Lack des schönen Autos.
Als er die Scheune wieder schloss, fragte ich:
„Was machen wir? Hast du Lust, zu mir zu kommen? Ich könnte uns Spaghetti machen und einen Salat dazu“.
Wieder klopfte mein Herz. Die ersten Male hatten wir uns auf neutralem Terrain getroffen, aber zuletzt waren wir bei ihm in der Wohnung gewesen. Er bewohnte ein äußerst puristisch eingerichtetes Loft, kaum Accessoires, dafür wenige monumentale Stücke. Ein fast kahles Wohnzimmer, so eines, das man immer in den Anzeigen für Bang & Olufsen fand, und natürlich hatte er sich auch deren Anlage zugelegt. Geräumige Parkettflächen, ein länglicher
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