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Tropfen im Ozean

Tropfen im Ozean

Titel: Tropfen im Ozean Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Subina Giuletti
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Unterleib passte, wie zwei Puzzleteile, die ineinander griffen. Schlief ein. Geborgen, selig, mit einem Lächeln im Gesicht.
     
    ***
     
    Am nächsten Tag wollte ich meine Eltern besuchen, und wie immer wenn ich das tat, stritten die unterschiedlichsten Gefühle und Gedanken in mir.
    „Na, so was“, sagte meine Mutter, als sie mich sah.
    „Auch schön, dich zu sehen“, erwiderte ich und drückte ihr einen Kuss auf die Wange. Ich dachte an WOM, wie er mir gesagt hatte, es sei wichtig, Liebe zu geben und nicht vorrangig, sie empfangen zu wollen. Es fiel mir schwer. Ich merkte, wie ich durch das fest eingeprägte Muster des ungeliebten Kindes in der Opferrolle stak und wie ein schreiender Säugling immer noch das einforderte, was mir meiner Meinung nach zustand.
    „Eines Tages wirst du verstehen“, hatte WOM mir erklärt. „Hab doch Mitgefühl. Du weißt nicht, was sie dazu bringt, so zu sein. Und sie kann nicht raus aus ihrer Haut. Aber du kannst“.
    An all das dachte ich jetzt und ich umarmte meine Mutter noch einmal ganz fest und überreichte ihr dann einen Blumenstrauß.
    „Na, so was“, sagte sie verwundert. „Womit hab ich das denn verdient?“ Leicht irritiert warf sie mir einen Blick zu und verschwand in der Küche, um eine Vase zu holen. Ich hängte meine Jacke auf, als mein Vater aus der Wohnzimmertür kam. Wir hatten uns fast ein Jahr nicht gesehen.
    „Tja“, sagte er beleidigt. „Ein seltener Gast“.
    „Hast mich ja gleich wieder erkannt“, erwiderte ich gleichmütig. „Außerdem steh ich im Telefonbuch“.
    Auch darüber wunderte ich mich: Es war mir egal, was er von mir hielt. Er räusperte sich.
    „Willst du einen Kaffee?“ rief meine Mutter aus der Küche. „Ich hab auch noch ein Stück Kuchen von gestern“.
    „Kaffee, gern, danke, aber ohne Kuchen. Ich würde mir gern mal die alten Fotoalben anschauen“, wandte ich mich dann an meinen Vater. „Hab ich schon lange nicht gemacht“.
    Sie kramten die alten Folianten für mich heraus, aber setzten sich nicht zu mir. Sowie ich meinen Kaffee hatte, war ihr Platz vor dem Fernseher und ich stöberte allein in den alten Alben herum.
    Das Siedlungsgebiet mit den Sozialwohnungen. Die verschiedenfarbig angemalten Häuser im selben Schnittmuster. Der Hof mit den Stangen, wo Frauen die Wäsche aufhängten. Der kleine Spielplatz und das Stück Wiese zwischen den Häusern. Büsche hier und da, die wir zum Verstecken oder Lagerbauen benutzt hatten. Das war heute alles weg. Alles zubetoniert.
    Mama und ich am Treppenaufgang im Erdgeschoss. Wir hatten im zweiten Stock einer Sozialwohnung gewohnt. Da war die Treppe zum Keller. Vor dem Keller hatte ich Angst gehabt. Ich weiß noch, wie mich meine Mutter zum Kartoffelholen geschickt hatte. Als ich das erste Mal ängstlich und ergebnislos zurück kam, hatte sie Verständnis gehabt und mir geholfen – aber ich war auch danach jedes Mal erstarrt vor dem dunklen Schacht gestanden und hatte mich nicht getraut, nach unten zu gehen, bis meine Mutter entnervt angerauscht gekommen war, mir den Eimer aus der Hand gerissen hatte und selbst gegangen war.
    Mutter mit mir auf dem Arm, als ich ein Baby war. Sie hält mich resolut, ihre Hand liegt schützend auf meinem Rücken. Zu dritt im Freibad. Auf dem Spielplatz, es gibt nicht so viele Bilder von mir aus der frühen Kindheit. Mein erster Kindergartentag. Dann: Emilie. Meine Mutter hat Emilie an der Hand. Streicht ihr über den Kopf. Sie hat sie auf dem Schoß, anders als mich. Sie drückt sie an sich.
    Ich hole den nächsten Ordner, die Zeit macht einen Sprung, ich bin Teenager. Ich stelle Vergleiche an. Wie Emilie aussieht, wie ich aussehe. Oh, Gott, die Pubertät, meine schlimmste Zeit! Unregelmäßige Gesichtszüge, Pickel... grässliche Proportionen. Daneben Emilie, die immer schöner wird. Ein Bild von Emilie, meinen Eltern und mir: Emilie und ich führen etwas vor, es ist Weihnachten und sie verbringt das Fest bei uns, weil ihre Mutter im Krankenhaus ist. Wir sind beide so um die zwölf Jahre alt. Papa hat einen Apparat mit Selbstauslöser, den ich auf ein Regal gestellt habe. Ich deklamiere gerade etwas, aber keiner meiner Eltern schaut auf mich, beide blicken mit glänzenden Augen auf Emilie.
    Danach blätterte ich nur noch unmotiviert durch ein älteres Album. Wie immer hat mir das die Stimmung verhagelt und ich kann mich nicht dagegen wehren. Das ist etwas, was ich nicht gelöst habe und ich weiß nicht, ob ich das jemals kann.
    Grillfeiern,

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