Tropfen im Ozean
ob ich damit verhindern könnte, diesen altbekannten, schmerzhaften Ablauf erneut zu erleben. Emilie blickte zum Aston, ihre Augen strahlten.
„Mann, sieht der gut aus!“ sagte sie.
„Wer. Der Mann oder das Auto?“
„Beide! Was genau recherchierst du mit dem?“
„Geht dich nichts an“, sagte ich patzig und unterdrückte das „du blöde Kuh“. Mein Hals schnürte sich gerade zu und ich merkte, wie mir Tränen in die Augen stiegen. Hektisch fummelte ich in der Handtasche herum, um etwas zu tun zu haben.
Florian war ausgestiegen. Ich hörte die Autotür zufallen. Das Klack-Klack von Emilies High Heels. Sie ging auf ihn zu. Ich mutierte zum Statist. Ließ den Film ablaufen. Die autobegeisterte Emilie würde ihn in eine Unterhaltung verwickeln. Er würde gar nicht mehr merken, dass ich da war.
Drei Sekunden später stand Florian vor mir und hob mit der Hand mein Kinn an.
„Hey“, sagte er und lächelte verwundert. „Geht es dir gut?“
Ich nickte. „Hab was ins Auge bekommen“. Fest presste ich das Taschentuch an die Augen. Er drückte mich an sich und ich merkte, wie steif ich war, als wolle ich aus Schutzgründen keine große Nähe mehr zulassen.
„Willst du uns nicht vorstellen?“ fragte Emilie verärgert. Ich erstarrte umso mehr, schob Florian weg, holte tief Luft - es half ja doch nichts. Was passieren musste, passierte. Das hatte mir WOM zur Genüge erklärt.
„Also Florian“, sagte ich resigniert. „Das ist Emilie, Emilie - Dr. Weidner“.
„Oooh“, machte sie und zeigte ihr schönstes Flirtlächeln. „Ein Doktor... so wie Sie aussehen, sicher ein Frauenarzt!“
„Angenehm“, sagte er kühl, ohne auf ihre dämliche Aussage einzugehen und wandte sich dann wieder mir zu. „Wollen wir?“
„Ja“, sagte ich unsicher. „Klar. Tschüss, Emmie“.
Höflich drehte sich Florian mit einem kurzen Nicken zu ihr: „Schönen Abend noch“, legte dann fest den Arm um mich und führte mich zum Auto. Galant hielt er mir die Tür auf. Betäubt setzte ich mich neben ihn.
„Sag mal, was ist denn mit dir los?“ wollte er wissen, als er anfuhr. „Du bist so komisch... hattest du Streit mit dieser Emilie?“
„Ähm... nein... nein... war nur stressig heute... das gibt sich s chon wieder...“, stammelte ich verwirrt. „...und du?“
„Was ich“, fragte er verdutzt. „Was soll mit mir sein?“ Mein Herz klopfte und ich wusste, es war dumm, das zu sagen, aber ich tat es dennoch:
„Du willst immer noch mit mir ausgehen, obwohl du Emilie gesehen hast?“
Komplett verdattert wandte er sich mir zu. Die Ampel stand gerade auf rot und mit einem Mix aus forschend und entgeistert sah er mich an: „Was ist denn das für eine Ansage?“
„Naja, du hast doch gesehen, wie sie aussieht... im Gegensatz zu mir.“
Die letzten Worte hatte ich sehr leise gesagt. Florian blickte wieder gerade aus, die Ampel sprang auf grün, er fuhr los. Lange Zeit sagte er nichts. Ein kurzer Seitenblick zeigte mir zusammen gepresste Lippen und Kiefer. Dann fuhr er rechts ran. Legte beide Hände aufs Steuer und sagte immer noch nichts. In mir sank alles nach unten, dorthin, wo alte Erfahrungen und Erinnerungen sich aus ihrem Sumpf erhoben. So war es oft gewesen. So oft. Die Jungs, später die Männer, hatten erst geschwiegen, dann zugegeben: ja, doch, schon... die schaut klasse aus! Hat sie einen Freund? Woher kennst du sie? Wie alt ist sie? Was macht sie denn so? Oder sie hatten alles abgewehrt und es hatte so unecht geklungen, dass ebenso alles klar war. Oder sich nur mit mir getroffen, um Emilie zu sehen.
„Hör mal“, begann Florian und mir stiegen in Erwartung seiner Worte die Tränen hoch. Ich sah aus dem Fenster.
„Ich habe mich so auf heute Abend gefreut, weil ich kaum jemanden bisher getroffen habe, der so ungekünstelt ist wie du. Und der mit einem solchen Enthusiasmus beseelt ist. Der erste Abend mit dir war so... anders... so begeisternd, dass ich es kaum erwarten konnte, dich heute wieder zu sehen. Und...“ er tippte mir aufs Bein, sah mich an. „... ich freue mich immer noch“.
Seine Augen blickten ruhig zu mir und sie waren sehr tief. Wieder holte ich tief Luft.
„Ich freue mich auch“, flüsterte ich mit zittriger Stimme. „Ich freu mich sogar sehr.“
Ich hatte Mühe, die Tränen nicht herunterpurzeln zu lassen. Und dann purzelten sie doch.
***
Drei Uhr fünfzig und ich lief der Tür entgegen. Die Herbsttage waren mild, aber die Nächte verdammt kühl und der alte Mann
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