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Tropfen im Ozean

Tropfen im Ozean

Titel: Tropfen im Ozean Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Subina Giuletti
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Bande zu den alten Bekannten reißen ab. Für mich aber ist es zu spät, in jeder Hinsicht, die Schienen gelegt, der Zug abgefahren.
    Immer mehr hängt sich Mama an Emilie. Emilie ist lieb, sie ist herzig, sie ist anschmiegsam. Und sie ist so schön. Mama ist froh, dass sie jemanden zum Liebhaben hat. Jemand, der ihr zeigt, dass sie als Mutter nicht versagt. Ich stehe umso mehr im Abseits und mein Verhalten manövriert mich noch tiefer hinein. Mama sagt wiederholt, ich sei böse. Warum bin ich böse?  Unterschwellig weiß ich, dass das stimmt. Ich hab was Böses gemacht, ich tue dauernd Böses. Ich bin unwert, unliebsam, unsympathisch. Mein Herz ist rau wie Sandpapier. Ich will geliebt werden und beobachte durch eine fette Glasscheibe diese Aquarium-Welt. Wie muss man sich verhalten, um das zu kriegen, was Emilie hat?
    Und da ist Papa, der mir einen Rettungsring zuwirft. Er sagt, ich muss was leisten, das Gefühl, wenn es klappt, ist nicht erfüllend, aber immerhin, es ist besser als vorher. Vielleicht wird es mehr, wenn ich dran bleibe. Aber auf Dauer gibt es keine echte Freude. Es funktioniert nicht. Nichts funktioniert. Das Glück ist weg, die Leichtigkeit, die Fähigkeit, das Leben als Spiel zu betrachten. Ich entwickle einen ausgesprochenen Sinn für Dramatik, die Welt realisiert meine Glaubenssätze. Ich profiliere mich, um meiner Existenz wenigstens etwas Gewicht zu geben. Aber auch das gibt keine Liebe – meine Eltern sind nur genervt. Keine Liebe. Es ist alles so schizophren und so geht es mir mein ganzes Leben.
    „Du lässt ja keinen an dich ran“, sagt Mama wieder und wieder.
    „Dein Becken ist tot“, sagt die Schweizerin. Ich höre sie deutlich.
     
    Bin nicht hier, bin nicht da. Schwebe. Dunkel. Schuld. Immer hab ich mich schuldig gefühlt. Meiner Mutter gegenüber, meinem Vater, J... allen. Versuche, lieb zu sein, aber niemand glaubt mir, dass ich es wirklich bin. Sie spüren das Falsche und ich bin verwirrt. Bin nicht in Ordnung. Etwas ist falsch an mir, aber ich verstehe nicht, was. Bin gefangen in diffusen Gefühlen, deren Ursprung in meinem Unterbewusstsein lauert - ein starker Magnet, der meine Außenwelt anzieht. Fast schien es mir, dass der Täter eher loslassen kann als das Opfer. Er konnte einfach vergessen. Aber ich war gebunden, gebunden an das Erlebnis, gebunden an die Muster der frühen Sexualität. Ich war gekettet und suchte ständig mein Äquivalent: Der Chef, der mich auf dem Schreibtisch vergewaltigt, tut mir einen Gefallen und auch nicht. Ohne die Vergewaltigung wäre ich unerfüllt geblieben. Und blieb unerfüllt wegen der Vergewaltigung.
    Ich wollte Zärtlichkeit, lechzte, weinte danach und bekam harsche Grausamkeiten, weil mein unerlöstes Sein das ausstrahlte. Widerstand, um Zärtlichkeit zu bekommen, die ich nicht als solche definierte, die ich nur wollte, weil ich nichts anderes kannte.
    Und doch... wenigstens das, wenigstens das... bevor ich gar nichts habe. Ein vernachlässigtes Kind, das den Kopf gegen die Wand schlägt, um Berührung zu spüren, weil sonst nichts da wäre. „Nichts“ ist schlimmer als Schmerz. Es ist der schlimmste Schmerz. Mir schoss durch den Kopf: Wie hätte ich mich verhalten, wäre J nicht gewesen? Hab ich ihn gebraucht, um es zu lösen?  Als Kind hatte ich keine Chance – jetzt war es möglich.
    All das sehe ich. All das wird klar.
     
    Langsam komme zu mir. Das Zelt. Die Matte. Die Decken. Es ist dunkel. Mein Körper tut unglaublich weh. Die Wimperntusche ist verschmiert, das Makeup verlaufen, meine Bluse voller Flecken, mein Gesicht nass. Ich bin erschöpft. Fühle mich ausgepumpt, kann kaum laufen. WOM ist da. Stützt mich, führt mich... in seinen warmen Wohnwagen und ich sinke auf die Couch in einen traumlosen Schlaf.
     
    ***
     
    Als ich aufwachte, war es früher Nachmittag. Benommen blinzelte ich in eine fahle Sonne. Ich fühlte mich wund. WOM kam zu mir, als er Bewegung registrierte, mit einer Tasse Tee in der Hand und nie waren seine Augen mitfühlender und freudiger gewesen als heute.
    „Mein Mädchen“, sagte er und seine Augen waren ein Ozean an Mitgefühl. „Dass du das zugelassen hast... das war so mutig... das war großartig! Großartig!“ Bewegt streichelte er mir übers Haar.
    „Du hast das miterlebt?“ fragte ich perplex.
    „Jede tragische Sekunde. Glaub mir, ich war dir näher, als du dachtest“.
    Unter Tränen lächelte ich ihn an, diesen wunderbaren, weisen, lieben, alten Mann mit den blauesten Augen der Welt und

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