Tropfen im Ozean
Emilie, die um sie herumhüpft und ein herzallerliebstes, unkompliziertes Kind ist.
Ich fühle mich dumpf im Kopf.
„Geh in den Keller und hol mir einen Eimer Kartoffeln“, sagt Mama und mir bricht der Schweiß aus. Ich kann nicht. Ich stehe am Treppenabsatz und kann nicht. Kann nicht eine einzige Stufe nach unten gehen. Da unten lauert etwas, ich weiß es genau. Ich weiß nur nicht, was. Ich gehe zurück in die Wohnung.
„Mama, da ist eine große Spinne an der Wand“, lüge ich und zittere. Mama schimpft leise und nimmt den Eimer selbst. „Davor brauchst du doch keine Angst zu haben... ich geh mit.“ Und sie geht mit mir. Sie macht Licht. „Warum hast du kein Licht gemacht?“ fragt sie mich. Licht! Ich bin unsagbar erleichtert. Sie füllt die Kartoffeln in den Eimer und geht mit mir nach oben. Bei ihr und mit ihr bin ich sicher. Aber ich hab sie enttäuscht. Ich hab ihr die Kartoffeln nicht holen können. Ich hab sie enttäuscht.
„Wir bleiben nicht lang, nur drei bis vier Stunden, dann sind wir wieder da“, sagen Mama und Papa. Ich schreie wie am Spieß. Ich will mit! Mit ihnen! Aber rumms, die Tür ist zu.
Frau Tremel begrüßt mich und ich starre stumm vor mich hin. „Du bist ein so ernstes Kind“, sagt Frau Tremel vorwurfsvoll und zu ihrem Mann: „Ich komm’ mit ihr nicht zurecht... was soll ich denn mit ihr machen?“
Schweigend stehe ich im Flur. Herr Tremel sagt, er geht mit mir spazieren. Seine Frau atmet erleichtert auf.
Er nimmt mich an die Hand und kauft mir ein großes Eis. Es schmeckt wunderbar gut. Dann gehen wir wieder zurück. Frau Tremel will einkaufen und ihre Eltern besuchen. Sie möchte sich nicht mit mir beschäftigen.
„Wie lange bist du weg?“ will er wissen, sie antwortet was und nimmt ihre Jacke. Er fragt mich: „Bist du müde?“
Ich schüttle den Kopf.
„Du solltest einen Nachmittagsschlaf machen“, erklärt er und legt mich ins Bett, obwohl ich nicht will. Die Jalousien ratschen runter. Er schließt die Tür ab. Er zieht mir das Kleid aus. Das Höschen. Ich bin voll da. Kein dumpfes Gefühl im Kopf. Die Stimmung im Raum ist merkwürdig gefahrvoll. Ich setze mich auf.
„Ich will zu meiner Mama“, heule ich und will aufstehen.
„Du bleibst liegen“, faucht er und drückt mich zurück. „Ich bring dich um, wenn du nicht hörst... deine Eltern schicken dich ins Heim! Böses Kind! Halt still! Leg dich hin!“
Ich weine noch mehr und will weg. Aber er fummelt an seiner Hose und sie fällt zu Boden. Ich kriege ein bisschen Angst, aber nicht so sehr, weil ich weiß, meine Mama kommt. Sie holt mich. Ganz sicher.
Ich schreie. Laut. „Ich will zu meiner Maaamaaa!“
Da drückt er mir die Hand auf den Mund und nur ein Quietschen kommt heraus. Die Angst steigt. Sie drängt sich hoch wie Lava in einem Vulkan... aber immer noch vertraue ich, dass meine Mama kommt. Sie kommt. Bestimmt. Sie macht Licht. Ich weiß es. Er hat was in der Hand. Etwas Weißes, Großes, Flauschiges. Es kommt auf mich zu. Er drückt es auf mein Gesicht. Ein tierischer Laut hallt durchs Zimmer. Meine Lippen verkleben, ich kann nicht atmen... nicht atmen...keine Luft! Ich kann nicht... atmen! Es riecht scheußlich und ich falle, falle, falle in ein Loch, ein schwarzes Loch, das mich verschluckt, vernichtet, mich auslöscht... und in diesem Moment wird mir mit dem letzten, aufflammenden Bewusstsein in kristallener Schärfe klar, dass es zu spät ist. Mama kommt nicht.
„Sie war auf dem Klo und seitdem weint sie... vielleicht hat sie Bauchweh... ich hab ihr ein Eis gekauft... hoffentlich hat sie’s nicht davon.“
Fest hält er mich an der Hand, presst sie. Lässt sie los.
Ratlos nimmt meine Mutter mich in Empfang. Geht mit mir die Treppe hoch. Mein Kopf tut weh. Ich kann nicht denken. Ich will nicht denken. Ich bring dich um. Ich weigere mich, zu denken. Ziehe mich aus der Welt zurück. Sie fließt an mir vorbei. Bin abgeschnitten. Mama will mich umziehen. Ich wehre mich. Ungeduldig sagt sie: „Was ist denn mit dir?“
Und dann sieht sie es. Blut in der Unterhose. Erschrocken zieht sie die Luft ein.
„Hast du dich auf die kalten Steine gesetzt? Tut es weh beim Pipimachen?“
„Weiß nicht“, greine ich. Mama setzt mich aufs Klo. Es tut weh beim Pinkeln. Sie ruft meinen Papa: „Das Kind hat Blut im Urin! Wir müssen sie ins Krankenhaus bringen!“
Und sie setzen mich ins Auto und fahren los. Ein müder Arzt untersucht mich nachlässig und verschreibt ein
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