Tropfen im Ozean
müde?“ fragt er und ich nicke. Er legt mich auf die Couch und deckt mich zu.
Ich wache auf. Ein schönes Gefühl durchströmt mich. Ich gebe ein Geräusch von mir. Das Schöne hört auf. Da ist was im Zimmer. Ist das Papa? Ich kann nicht denken... versuche mich zu erinnern... wo bin ich... aber da... da ist wieder das Schöne... ich halte still, damit es nicht wieder aufhört. Es schickt so wunderbare Gefühle durch mich hindurch. Es tut so gut. Ich räkele mich. Höre ein Keuchen, höre ein „Ja. Ja.“. Bin verwundert, will die Augen öffnen, kann nicht. Sie sind so schwer. Dann ist es weg. Das Gefühl. Alles. Schuld liegt im Raum. Etwas Komisches.
Ich liege da und hab das Empfinden, dass etwas unterbrochen wurde. Das Schöne. Und dass es nie mehr wiederkommt.
Mein Geist ist ruhig, aber wachsam. Ich sitze auf meiner Matte im dunklen Zelt und schwebe von einer Szene zur nächsten.
Meine Mutter liebkost Emilie. Sie sieht mich nicht mehr. Ihre Augen wandern von mir zu Emilie und sie seufzt. Sie ist freundlich zu mir, aber distanziert. Es fehlt was – ich weiß nicht was. Ach ja – war ich nicht vollkommen glücklich, wenn sie in meiner Nähe war? Wo ist das hin? Ich umarme sie von hinten, als sie auf einem Stuhl sitzt, erwische aus Versehen ihre Brust. Sie schimpft mich. Ich werde bockig. Immer öfter werde ich bockig. Sie wendet sich immer öfter Emilie zu. Ich will, dass sie mich streichelt, aber sie hat keine Zeit. Sie liebt mich nicht. Sie mag mich nicht. Ich gehe zu Papa. Er hat auch keine Zeit. Er sagt: „Warum kannst du das Alphabet noch nicht? Wie willst du’s im Leben zu was bringen?“
Liebe, Berührung. Wie schön das ist. Das Gefühl, dass jemand Zeit für mich hat. Mich will. Mich interessant findet. Was muss ich nur tun, damit es so ist?
„Kannst du mal ganz kurz? Für zwei Stunden nur? Wir sind bald wieder da“. Mama und Papa sitzen im Auto und fahren weg.
„Komm“, sagt er und nimmt meine Hand. Er streicht mir über den Kopf. Er drückt mich ein bisschen an sich. Er will mich. Er mag mich. Er gibt mir Limonade.
„Ich habe Spielzeug“, sagt er. „Willst du dir was aussuchen?“ Ich nicke, meine Augen leuchten. Der Keller. Er ist kalt. Ein Stuhl. Rau. Dreckig. Er zeigt mir eine Puppe. „Die könntest du haben“, sagt er und setzt mich auf den Stuhl.
„Zieh das Höschen aus“, flüstert er und ich tu’s. „Schieb das Kleidchen hoch“. Und ich tu’s. „Mach die Augen zu“. Ich tu’s. Er ist lieb zu mir.
Es wird wieder schön, aber der Mann ist abgelenkt. Er ist nicht bei mir... es ist nicht so, wie ich wollte. Kratzt er sich? Er stöhnt und bewegt sich komisch. Ich sitze auf dem Stuhl und er drückt seine Finger zwischen meine Beine. Das, was immer so schön war bisher, wird schmerzhaft. Aber ich halte still. Vielleicht kommt das Schöne ja wieder. Doch auf einmal ist alles weg. Er keucht, windet sich. Ich bin noch lange in Erwartung des Schönen. Nichts passiert. Ich bleibe zurück. Immer und immer wieder.
„Wehe, du verrätst es. Du bist böse. Ein böses Kind. Deine Mama will dich nicht“.
Ich bin müde. Ich schlafe viel. Ich will nicht raus. „Du bist so ein Stubenhocker geworden“, sagt Mama. Ihre Stimme klingt vorwurfsvoll. Ich weiß nicht, was ich falsch mache. Nur der Mann ist lieb zu mir.
„Drück dahin“, flüstert die Stimme. „Schau, ich zeig’s dir... da... fühlst du es... da... trink noch was...“ Ich tu’s, obwohl ich lieber gestreichelt werden will. Fühle mich benommen im Kopf. Die Limonade macht mich immer so müde. „Mach die Beinchen auseinander... zeig mir... oh... ja...ja...ja...“ Zack. Es ist vorbei. Er ist lieb zu mir, und ich hab ihn erfreut. Wenn ich ihn erfreue, fühle ich mich besser. Aber das Gefühl des Unerfülltseins verdichtet sich immer mehr.
Ich sterbe vor Verlangen nach Berührung. Lege mich hin. Warte auf das Schöne. Und habe Angst. In mein benebeltes Hirn dringen drohende Worte:
Der Mann sagt: „Du bist böse... böse... sie bringen dich in ein Heim, wenn du nur ein Wort sagst... ein Wort. Wir spielen nie wieder... ich finde dich, ich bring dich um... ich bring dich um... fass das an... mach’ die Beinchen auseinander... fass das an... ah...ja...ja... bist ein gutes Kind... ja, das ist gut, gut, gut...“
Er trägt mich zu meiner Mama. „Anscheinend bin ich so langweilig, dass sie immer bei mir einschläft“, sagt er lächelnd.
Meine Mama seufzt und steckt mich ins Bett. Sie beschäftigt sich mit
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