Tropfen im Ozean
was ich will“, erklärte sie mir. „Immer hab ich mich nach anderen gerichtet... nach meinen Lehrern, nach spirituellen Führern... dann nach Ralf... nach einem Gott, den ich nur aus Büchern kannte und von dem ich der Meinung war, dass er mir dieses übelnimmt und jenes nicht an mir mag... erst Rob hat mir die Augen geöffnet. Er hat mir klargemacht, dass ich mein größter Kritiker bin, dass ich all diese Dinge tue, um ein ‚braves Mädchen’ zu sein, nicht aus Überzeugung. Mir ist bewusst geworden, dass er mich mit seinen blöden Witzen zum Lachen bringen wollte... Mann, ich war so eine humorlose, heilige Nudel! Ach... es ist so viel passiert in mir drin! Ich fühl mich frei, ganz anders... ich mach jetzt, was ich will und wenn es ein Fehler war, dann war’s halt einer! Daraus kann ich nur lernen! Auf keinen Fall gehe ich noch einmal in diese Meditationsgruppe! Und morgen zieh ich ein Etuikleid an! Im Leolook!“
Ich lachte gelöst. „Das klingt ja super, Elisha! Einfach grandios! Wow! Ein Etuikleid! Damit machst du Emilie Konkurrenz! ...Und? Nun sag schon!“
„Was und?“
„Wie hat der Hamburger geschmeckt?“
„Scheußlich! Dieses labberige Brötchen! Und das fette Fleisch! Wääh, ehrlich, ich hab nach zwei Bissen gekotzt!“
Ich lachte lauthals. Das hörte sich alles so komisch an aus Elishas Mund.
„Und Rob?“ fragte ich dann.
„Wir werden sehen“, sagte sie und grinste wieder spitzbübisch. „Er soll sich mal anstrengen. So leicht lass ich mich nämlich nicht mehr irgendwo anbinden. Wenn, dann muss es mir das wert sein!“
„Und... was sagt er dazu?“
„Er hat mich zum Candle-light-Dinner eingeladen“.
„Wow! Das volle Programm! Wie romantisch! Und... Ralf?“
„Ralf ...“ sie drehte sich zu den vielen Rädchen auf ihrem Mischpult und presste die Lippen zusammen „Ralf isst Knoblauch. Ich glaube, das reicht ihm“.
„Gut, dass es dir nicht mehr reicht“, sagte ich.
„Ja, gut, dass es auch anderes gibt“.
Mit einem Lächeln auf den Lippen machten wir uns dann beide wieder an die Arbeit.
***
Wieder stand sie vor meiner Haustür.
„Emilie, es passt jetzt gar nicht“, sagte ich zu ihr. „Ich bin... beschäftigt.“
„Ach was, das bist du doch immer“, sagte sie hochnäsig und schlüpfte, ohne mich weiter zu beachten, ins Haus. Sie hatte mich noch nicht einmal begrüßt, nur darauf gewartet, dass ich ihr die Tür öffnete. Schnurstracks ging sie den Geräuschen nach, die aus der Küche kamen. Florian kochte für uns und ich biss die Zähne zusammen, weil Emilie geradezu geflissentlich über mich hinwegsah und mich einfach ignorierte. Von wegen, sie wolle mit mir ein Glas Wein trinken!
„Hiiiii!“ hörte ich sie in der Küche kreischen und als ich, diesem pubertären Ausruf folgend, in derselben eintraf, sah ich, wie sie Florian mit allem umarmte, was sie hatte. Sie presste ihre Brüste an ihn, schmiegte die Hüften an sein Becken und ihre Wangen an sein Gesicht.
Ich stand und glotzte.
Eine Sekunde, zwei Sekunden, drei Sekunden, noch länger. Sie hing immer noch an ihm dran. Florian hatte Kochlöffel und Topflappen in der Hand und rührte sie nicht an.
Mit einem tiefen Blick, den sie offensichtlich von Sonnja gekupfert hatte, löste sie sich endlich und schaute ihm in die Augen.
Fassungslos stand ich daneben – Emilie tat immer noch das, was sie immer getan hatte: Sie machte mich zum Niemand. Plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Sie konnte es nicht ertragen, dass jemand in ihrem Umkreis auch oder womöglich mehr geliebt wurde als sie. Sie hatte sich die Liebe meiner Eltern geholt, die wir uns doch hätten teilen können, aber nein, es musste auch die meiner damaligen Freunde sein... und jetzt... jetzt wollte sie... mit einem Satz war ich bei ihr, riss sie von Florian weg und sagte:
„So. Das reicht. Raus ! Und zwar sofort!“
Und als sie mich anstarrte, brüllte ich: „Ich hab gesagt: RAUS !“ und zeigte mit ausgestrecktem Arm zur Tür.
„Jaja, jetzt tu doch langsam“, sagte sie aufreizend, mit einem hilfesuchenden Blick zu Flo, aber der starrte sie nur kühl an. „Du bist ganz schön verkorkst, das kann ich dir sagen“, sagte sie in gewollt lässigem Tonfall. Ihr arrogantes Gehabe gab mir den Rest.
„Verschwinde aus meinem Leben!“ schrie ich geradezu hysterisch. „Du wirst mir das hier nicht versauen! Raus hier! Und zwar dalli!“
Betont langsam ging sie zum Ausgang, zog in Zeitlupe ihren Mantel an, während es
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