Tropfen im Ozean
Sie’s denn gern. Manager sterben an Herzversagen weil sie ihrer Karriere hinterhergerannt sind, während Hausfrauen Depressionen kriegen, weil sie das Gefühl haben aus ihrem Leben nix gemacht zu haben. Und Kinder leiden am Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom, weil alle ihren Wünschen hinterher jagen und keine Zeit mehr für sie haben.
Je älter wir werden, desto öfter werden wir uns dann wohl fragen, wofür dieses Gerenne auf der Erde gut gewesen sein soll und wo wir hingehen, wenn wir diesen Körper verlassen.
Die Theorie der Kirchen mit Himmel, Hölle und Fegefeuer ist wenig tröstend. Das impliziert, dass du auf dieser Erde nur ja keinen Fehler machen darfst, sonst musst du ewig leiden. Also hast du, gut gerechnet, 80 Jahre, um zu kapieren, was Gott von dir will und wenn du nicht clever genug bist, landest du für ewig im Abgrund. Unser Pfarrer und vor allem die Nonnen haben uns Kindern im Religionsunterricht in schaurigen Ausführungen das Fegefeuer beschrieben. Es tue schrecklich weh, dann musst du furchtbar leiden, dein ganzes Dasein ist nur noch Schmerz und Qual, du weinst und schreist vor Pein. Gleichzeitig wurde uns erklärt, dass wir alle unrein sind und große Sünder, was ergo bedeutet: Du kommst am Fegefeuer eh nicht vorbei. Dazu verwiesen sie auf die Zeichnungen in den Religionsbüchern, in der schreiende, verzweifelte Menschen mit erhobenen Armen im Feuer hingen und ich weiß noch, wie aufgrund dieser glorreichen Zukunftsaussichten mein kleiner Banknachbar, den Tränen nah, sich meldete und sagte: „Dann gehe ich doch lieber in die Hölle“.
Die gnädigere Variante der Esoteriker lautet, dass du, wenn du nichts kapiert hast, halt wieder auf die Erde plumpst (Nachsitzen!) und wieder von vorne anfängst. Du hast gelebt, nix verstanden, stirbst und kommst wieder auf die Welt in einer anderen Form, in einem anderen Film. Immerhin lässt diese Ansicht eine gewisse Vielfalt nicht vermissen. Dieses Modell ergibt für mich doch mehr Sinn und es hört sich abwechslungs- und chancenreicher an. Aber dennoch ist es wie der erste Aufenthalt, die erste Reise in ein fernes Land: Am Anfang ist alles prickelnd, du genießt (wenn du Glück hast), die fremden Eindrücke, das Hotel, das üppige Buffet, das luxuriöse Zimmer, die dicken Daunen und fünfhundert Kissen auf dem King-Size Bett. Vielleicht erwischt du ja auch nur ein Erdloch und den Kampf mit Dinosauriern. Wir wechseln die Rollen, mal sind wir arm, mal reich, mal schön, mal hässlich, mal vom Glück überschüttet oder vom Pech verfolgt.
Aber mit der Zeit ist ein Essen ein Essen und ein Bett ein Bett. Im Wesentlichen ist alles immer wieder dasselbe und die Wiederholung von all dem nicht wirklich spannend.
Dieser ganze Zirkus auf der Erde soll also nur dafür da sein, um nach einem Rehabilitationsurlaub im Paradies bei den Engeln oder sonst wo, erneut ins kalte Wasser geworfen zu werden? Wofür? Warum können wir nicht gleich da bleiben, wo es schön ist? Es gehe darum, so Elisha, erleuchtet zu werden.
Warum kann uns Gott nicht gleich sagen, was er will? Laut und deutlich? Soll er uns doch erleuchten, dieser Gott und uns in seiner Glückseligkeit schwimmen lassen! Was denkt er sich dabei, wenn er uns auf die Erde schickt, um etwas zu erkennen, was so schwierig zu sein scheint, dass es immer nur ein paar Auserwählte unter den inzwischen fast sieben Milliarden hier zu erreichen scheinen?
Wenn man Elisha fragt, warum das Leben so ist, wie es ist, antwortet sie: damit man es halt mal erlebt hat und weiß, wie sich das anfühlt. Mal bist du Opfer, mal Täter. Mal willst du dies, mal das, um zu sehen, ob es dich glücklich macht. Es ist, als ob du dir ein tolles Auto wünschst – du hast ewig den Wunsch, bis du ihn dir endlich erfüllst. Erst, wenn du es hast, weißt du, wie das ist und kannst es loslassen.
Tja – und das ist hier die große Frage: Kann man es dann loslassen? Oder will man nicht danach das noch nächsttollere Auto? Wenn ein Wunsch befriedigt ist, bildet sich ein neuer, das ist die Erfahrung, die ich so gemacht habe.
Vielleicht ist dieses Gerenne nach materiellen Dingen und den Genüssen dieser Welt nur dafür gut: Man wird dem irgendwann furchtbar überdrüssig. Liegt darin der Mechanismus für das berühmte Loslassen? Um letztendlich frei zu sein?
Freiheit war ein herrliches Wort, das ich nicht nur auf den Körper und ein paar Tage Auszeit bezog. Eine größere Freiheit - frei von den Zwängen, die man sich selbst auferlegt
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