Tropfen im Ozean
das Auge meines Gedankensturms, an einen zentralen, ruhigen Punkt.
Ruhe ergriff mich, füllte mich. Entspannt lehnte ich mich ebenfalls zurück. Eine leise, innere Freude regte sich plötzlich in mir. Ich horchte in mich hinein, fühlte dieser unerklärlichen Freude nach. Es war wunderbar, hier auf dieser Bank zu sitzen und zu schweigen. Ich vergaß die Zeit, vergaß den Mann. Ich schwelgte in einem Gefühl, das mir unbekannt und gleichzeitig vertraut war. Noch nie in meinem Leben hatte ich mich so verbunden und so rund gefühlt. So friedvoll und erfüllt. Dieses Empfinden war einfach atemberaubend und ich wünschte mir, es würde nie enden.
Es endete, als die Turmuhr ein Mal schlug. Wie auf Kommando produzierte mein Kopf unaufgefordert Gedanken, unter anderem: Wie hatte die Zeit so schnell vorbei gehen können? Die Sonne wärmte so schön, der Frieden und die Stille klangen nach in mir – ich verspürte nicht die geringste Lust, etwas zu ändern.
Unwillig öffnete ich die Augen. Und mit einem Mal wurde ich der Präsenz des alten Mannes gewahr, der doch direkt neben mir saß. Ich hatte ihn nicht gespürt. Oder doch? Waren es sein Friede und seine Stille gewesen, die so auf mich gewirkt hatten?
„Wie geht es Ihnen?“, hörte ich ihn fragen und mein Herz tat weh bei seinen Worten.
„Danke“, sagte ich und wandte mich ihm zu. „Jetzt gerade geht es mir gut“.
Seine blauen Augen ruhten auf mir. Sie waren voll und beredt. Stumm versank ich in die Betrachtung dieses Gesichts und lächelte selig.
„Sie müssen heute noch arbeiten?“, fragte er mich und ich nickte verträumt. Dann spannte ich, dass das falsch war:
„Ähm... nein, nein... ich bin... ich bin gerade... in einer Art... Auszeit...“ stammelte ich.
„Wie schön!“, bemerkte er. Seine Stimme war warm.
„Ja“, schob ich nach „ich... genieße das sehr... weil ich das noch nie hatte, wissen Sie... soviel Zeit... ich meine, Zeit zum Nachdenken...“
„Müssen Sie denn nachdenken?“ fragte der Mann mit leisem Lächeln. „Worüber denn?“
Eine heiße Welle durchfuhr mich, unterdrückte Hoffnung. Sekundenlang schwieg ich.
„Über das Leben“, flüsterte ich dann und meine Kehle schnürte sich zu. „Über mich... über so... einiges“.
Der Mann nickte wissend. „Gut“, sagte er. „Das ist gut“.
Er sah mich an, heiter, gelassen und lehnte sich zurück.
„Ja, dann erzähl mal“, meinte er und hielt die Hände über den Knauf seines Stockes.
„Wie…was…was soll ich denn erzählen?“ stotterte ich, vor dieser direkten Aufforderung zurückweichend.
„Na, das, was du auf dem Herzen hast“, antwortete er leicht belustigt.
„Was...ich auf dem Herzen habe?“ fragte ich erschreckt. „Was denn?“
Er stutzte kurz, verwundert. „Na, das!“, sagte er.
„Was ... das?“
„Na, das!“ Er lachte sich fast schief.
„Wie bitte?“
„Na, das!“ rief er wieder, streckte seinen Zeigefinger aus und zeigte unmissverständlich auf meine Brust.
Unwillkürlich schaute ich auf mein T-Shirt, als ob daran ein Zettel geheftet sei, der Aufschluss über alles geben könne.
Er kicherte noch mehr und verschluckte sich an seinem eigenen Lachen. Verständnislos starrte ich ihn an. Leicht schüttelte er mit dem Kopf.
„Na, komm schon“, meinte er. „Du kannst mir vertrauen, aber das weißt du ja eh. Sonst wärst du ja nicht hier.“
Mein Mund stand offen, in mir drehte sich alles und mein Kopf begriff nichts, gar nichts.
„Fang doch einfach an“, ermunterte er mich und beugte sich zu mir vor - die Augen so intensiv auf mich gerichtet, dass mir ganz anders wurde. Seine Anziehungskraft war gigantisch. Ich gebe zu, am liebsten hätte ich ihn geküsst. Er verharrte kurz, als registriere er diese Regung, dann lehnte er sich erneut zurück, den Stock in der Hand, die Augen halbgeschlossen auf den Waldboden gerichtet, als ob er mir Zeit geben wolle, mich zu fassen. Unmissverständlich aber wartete er auf Antwort.
Ich blieb stumm. Er auch. Mein Hirn lief Amok. Vielleicht erfasste ich in diesen Sekunden, wie kaputt meine Situation eigentlich war, wie peinlich, wie wenig schmeichelhaft. Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, einem fremden Menschen einfach alles zu erzählen. Dinge, die ich selbst nicht kapiert hatte! Das mit J! Oh, Gott! Die Sexkatastrophe! Wie sollte ich das in Worte fassen? Sicher meinte er etwas anderes! Total verunsichert stotterte ich schließlich:
„Nachdem Sie… besser Bescheid zu wissen
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