Tropfen im Ozean
Augen verwurzelt war, dass ich nicht umhin konnte, mitzulächeln, ein Lächeln, bei dem ich nicht nur die Aktivität von Augen und Mund spürte, sondern ganz deutlich eine seltene, lang nicht mehr gefühlte Regung im Brustkorb.
„Ähm…“, räusperte ich mich, um meine Stimme wieder zu aktivieren, „...die Bank ist ziemlich feucht und … ich...“
Hilflos zupfte ich an meinen Hosenbeinen herum, als Ersatz für die fehlenden Worte. Aber der Mann verstand sofort.
„Oh, wie unaufmerksam von mir!“ rief er, als ob er mich in einer grandiosen Villa begrüßen würde. „Eine Sekunde, das haben wir gleich!“
Mit diesen Worten verschwand er hinter einer Baumgruppe, durch die ich einen Wohnwagen hervorlugen sah, hörte ihn herumwühlen, dann kam er wieder, zwei dünne grüne Sitzkissen in der Hand.
„Hier!“, rief er strahlend und legte sie nebeneinander auf die Bank. „Jetzt können Sie gefahrlos Platz nehmen!“
Sprachlos setzte ich mich. Dann beeilte ich mich, ein heiseres „Danke“ zu krächzen, was er mit einem vergnügten „Aber bitte sehr!“ quittierte, während er sich völlig zwanglos mit einer geschmeidigen Bewegung neben mir niederließ.
Sein Körper wirkte jung, wendig und erstaunlich athletisch unter dem hellblauen Flanellhemd. Er sah sauber und kuschelig aus. Zitronenduft entströmte seiner Kleidung und am liebsten hätte ich meine Nase darin vergraben.
Ich starrte auf seine Hände, deren helle Haut mit Altersflecken übersät war. Sie ruhten auf einem glatt polierten Wanderstock, den er gar nicht zu brauchen schien. Zwanglos hielt er ihn zwischen den Beinen, die in weichen, leichten Feincordhosen steckten und er trug hypermoderne, mit grellem Neongelb abgesetzte Trekkingschuhe, die so gar nicht zu ihm passten. Sie wirkten zu sportlich für seine überaus edel wirkende Erscheinung. Er erschien mir wie ein Adliger, der sich eher in einem Frack zu Hause fühlte.
„Aber sie sind so praktisch und bequem“, sagte er zu mir, und vor Schreck vergaß ich für ein paar Sekunden zu atmen. Ich hatte doch gar nichts gesagt? Die ganze Situation erschien mir surreal, ich fühlte mich wie in einem Rauschzustand, in dem man nicht wirklich mitbekommt, was geschieht. Er betrachtete angelegentlich seine Schuhe, drehte die Füße leicht nach innen und außen. Meine Augen folgten automatisch seinen Bewegungen, gleichzeitig wurde mir klar, dass seine Fußbekleidung nicht unbedingt das Wichtigste an ihm sein konnte und endlich richtete ich meinen Blick auf ihn. Im gleichen Augenblick wandte er sich mir ebenfalls zu und ich sah ihm zum ersten Mal voll ins Gesicht.
Es traf mich wie ein Schock.
Nie zuvor hatte ich in ein gütigeres Gesicht wie dieses gesehen. Aber was noch schlimmer war: Diese Güte trieb mir, heftig, und in solchen Mengen, dermaßen die Tränen in die Augen, als ob sein Anblick einen Damm niedergerissen hätte. Vergeblich um Fassung bemüht, starrte ich auf den Waldboden, während mir, zu meiner bodenlosen Verwunderung, das Wasser aus den Augen stürzte, mein Körper sich schüttelte, und ich zum ersten Mal seit langer Zeit unkontrolliert weinte.
***
Es war mir peinlich. Ich drehte mich weg, meine Nase lief. Ein Tränenstrom löste den nächsten ab und ich verstand es nicht. Der Mann sagte kein Wort. Seine Hand wedelte ein Taschentuch herbei und ich nahm es dankbar.
„Entschuldigen Sie bitte“, stammelte ich, „...ich…ich ... hab keine Ahnung, was mit mir los ist...“
Keine Antwort.
Der alte Mann saß still neben mir auf der Bank, ein ganz leises Lächeln auf den Lippen, als ob rein gar nichts passiert wäre. Nein, eher, als ob er alles wüsste und verstünde. Es war ein mitfühlendes, verständnisvolles Schweigen, eines, das Scham überflüssig machte und mir half, meine Fassung wieder zu erlangen. Ich putzte mir die Nase, schnaufte tief durch, den Blick immer noch nach vorne gerichtet. Ve rwirrt versuchte mein Verstand die Situation zu erfassen.
Nachdem der Mann weiterhin schwieg, wagte ich einen weiteren Seitenblick auf ihn. Er saß mit geschlossenen Augen, den Rücken an die Bank gelehnt, das Gesicht der Frühlingssonne zugewandt und er wirkte so tief in sich versunken, in eine so vertraute, fremde Glückseligkeit, dass allein dieser kurze Blick auf ihn mich vollständig beruhigte, Mehr noch: in tiefen Frieden versetzte.
Es war sehr still.
Im Wald war es still. Der Mann war still. Die Sonne schien still. Und diese Stille stoppte das Rad in meinem Kopf, zog mich in
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