Tropfen im Ozean
Licht, und das Licht fiel auf zwei Engel, die rechts und links den Eingang bewachten, fiel auf eine bronzene geschwungene Platte, ein Schild über einem gewaltigen Riegel. Der Wind wehte leicht, Zweige wiegten im Wind, warfen abwechselnd Schatten und Licht auf das Schild, Schriftzeichen blinkten in der Sonne. Ein Name? Neugierig kam ich näher. Und las.
„Hab keine Angst vor dem Morgen“ stand da. „Gott ist bereits dort“.
Ich starrte auf die Worte. Diese Zeile bewegte etwas in meinem Herzen. Und auf einmal kam es mir wie ein Frevel vor, dass J dieses Haus kaufen wollte. Ich stellte mir vor, wie er mit Emilie dort einzog, wilde Partys feierte und diese gewachsene, stille Atmosphäre der Umgebung innerhalb kürzester Zeit vollständig zerstört haben würde.
Aber J bekam immer, was er wollte. Warum war das bei mir nicht so? Du weißt doch gar nicht, was du willst, antwortete eine Stimme in mir. Vielleicht hast du dir nie ausreichend Gedanken über das gemacht, was du wirklich willst. Willst du J? Ein Leben mit ihm? Nein! Ein Leben in dieser Ungewissheit? Nein. Ganz sicher: nein. Aber warum war ich dann so hinter ihm her? Und was wollte ich dann?
Wenn es wirklich möglich war, einfach etwas zu erbitten, dann wünschte ich mir, dass ich diesen blöden, dicken Arsch nicht hätte, dass ich schön wäre - und mein eigener Chef - und vor allem, dass ich mich nie mehr in meinem Leben so unsicher fühlen müsste, so minderwertig und klein wie jetzt. Nie mehr! Ich wünschte mir ... fest klammerte ich meine Hände wie damals als Kind an das Tor, lehnte die Stirn an das kühle Eisen, meinen Blick auf die unendlich scheinende Allee gerichtet, die zu irgendetwas Wunderschönem führte, von dem ich wusste, dass es da war, das ich aber nicht sehen konnte... ja, und da kam aus dem Tiefen meiner Seele der Gedanke, dass ich mir eigentlich nichts sehnlicher wünschte, als tiefen, inneren Frieden. Eine durch nichts zu erschütternde Heiterkeit und Gelassenheit. Freiheit! Frei sein von all diesen minderwertigen Gefühlen. Wieder fiel mein Blick auf das Zitat und leicht strich mein Finger über den Schriftzug:
Hab’ keine Angst vor dem Morgen. Gott ist bereits dort.
Das war eine Antwort.
***
Der Briefkasten quoll über. Er war der Einzige, der mich daran erinnerte, dass es noch eine andere Welt da draußen gab, die mit mir kommunizieren wollte. Ich hatte ihn lange nicht geleert, den Kasten, und nach dreieinhalb Wochen, die ich nun schon mit mir alleine war, schoben sich die Umschläge bis über den Briefschlitz. Ein schwerer Packen Papier flog mir entgegen, als ich widerwillig das Fach aufschloss.
Oben sortierte ich alles aus, das meiste war Gott sei Dank Müll, ein paar Rechnungen, die ich beglich, und dann Zettel von Elisha, von Rob, Bernd, Susann und Gerda.
Im Wesentlichen stand immer das Gleiche drauf: Wir machen uns Sorgen – geht es dir gut? Wir waren bei dir, aber du hast nicht aufgemacht. Melde dich! Können wir was für dich tun?
Ich war gerührt über ihre Fürsorge und fühlte mich verpflichtet, ihnen zumindest eine Nachricht zu hinterlassen. Aber dann tat ich es doch nicht. Ich wollte nichts und niemanden in meine selbstgebaute Eihülle kommen lassen.
Weiterhin war ich viel im Wald und schützte meine kleine Welt, die nur aus mir und meinen Bedürfnissen bestand. Ich musste auf niemanden Rücksicht nehmen oder irgendwelche Ansprüche erfüllen. Es gab nur mich und ich fand, das war genug.
Die Tür
Da war eine Tür. Mitten im Wald. Eine Tür aus altem, verwittertem Holz mit Schloss und Klinke. Das Kuriose war: In einem halben Rahmen, die linke Vertikale festgenagelt an einen Baumstamm, die Horizontale ragte in die Luft – es hätte gewirkt wie ein Galgen, wäre nicht diese stabile Tür gewesen. Rechts von der Tür: halbhohe Büsche, Wildblumen, die Ahnung eines Pfades. Links: Hohe Bäume, die wie eine Mauer für das nicht vorhandene Haus wirkten. Es sah so seltsam aus, dass ich unwillkürlich stehen blieb und versuchte, dies zu begreifen. Eine Tür für etwas, das sowieso offen war. Eine Tür mit einem Schloss, in dem noch dazu ein altmodischer Schlüssel steckte. Ein Schlüssel!
Verwundert schüttelte ich den Kopf. Und setzte dennoch einen Fuß vor den anderen, bis ich an diesem seltsamen Eingang stand. Meine Hände strichen über das uralt wirkende raue Holz, blieben an einem Astloch hängen, durch das unvermittelt ein Sonnenstrahl fiel, wie eine Aufforderung, ein Zeichen.
Wie
Weitere Kostenlose Bücher