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... trotzdem Ja zum Leben sagen: Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager (German Edition)

... trotzdem Ja zum Leben sagen: Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager (German Edition)

Titel: ... trotzdem Ja zum Leben sagen: Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor E. Frankl
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Arbeitsplätzen mittags Suppe gab, konnte ich damit rechnen, daß er bei deren Ausgabe, wenn ich an die Reihe kam, mit dem Schöpflöffel ein wenig tiefer griff und vom Boden des Fasses einige Erbsen heraufholte.
    Dieser Capo, ein ehemaliger Offizier, hatte sogar hier die Zivilcourage, jenem über mich so erbosten Vorarbeiter abseits zuzuflüstern, er kenne mich sonst als einen »guten Arbeiter«. Es nützte nichts – aber diese eine meiner Lebensrettungen gelang trotz alledem: der Capo schmuggelte mich am nächsten Tag einfach in ein anderes Arbeitskommando hinein. – Was mit dieser, äußerlich gesehen und relativ betrachtet, gewiß harmlosen Episode gezeigt werden sollte, ist nur, daß auch noch den ziemlich Abgestumpften eine Welle der Empörung überkommen kann, eben nicht über irgendeine äußere Roheit oder einen zugefügten körperlichen Schmerz, sondern über den Hohn, der alles begleitet. Damals schoß mir nur so das Blut in den Kopf, als ich mit anhören mußte, wie ein Mann ohne Ahnung von meinem Leben es wertet – ein Mann (und ich muß bekennen: diese nachträgliche Feststellung gegenüber den umstehenden Kameraden erleichterte mich kindischerweise irgendwie), »ein Mann, so ordinär und brutal wirkend, daß ihn meine Stationsschwester in der Spitalsambulanz nicht einmal in den Warteraum gelassen hätte«.
    Es gab auch Vorarbeiter, die mit uns Mitleid hatten und ihr Möglichstes taten, unsere Situation wenigstens auf der Baustelle zu mildern. Zwar hielten auch sie uns immer wieder vor, ein normaler Arbeiter leiste in kürzerer Zeit ein Vielfaches von unserem Pensum. Aber sie waren zugänglich, wenn man ihnen entgegenhielt, ein normaler Arbeiter lebe nicht von 300 Gramm (theoretisch; praktisch weniger) Brot und einem Liter Wassersuppe im Tag; ein normaler Arbeiter stehe nicht unter dem seelischen Druck wie wir, die wir von unseren ebenfalls in Lager verschleppten oder aber gleich vergasten Angehörigen nichts wissen; ein normaler Arbeiter stehe nicht unter der ständigen, täglichen und stündlichen Todesdrohung wie wir usw. usw. Einem gutmütigen Vorarbeiter gegenüber konnte ich mir einmal sogar leisten, zu bemerken: »Wenn Sie, Herr Vorarbeiter, in wenigen Wochen so gut Gehirnpunktionen von mir lernen werden, wie ich diese Erdarbeiten da von Ihnen, dann alle Achtung!« Und er schmunzelte.
    Die Apathie als Hauptsymptom der zweiten Phase ist ein notwendiger Selbstschutzmechanismus der Psyche. Die Wirklichkeit wird abgeblendet. Alles Trachten und damit auch das gesamte Gefühlsleben konzentriert sich auf eine einzige Aufgabe: die pure Lebenserhaltung – die eigene und die gegenseitige! So konnte man immer wieder hören, wie die Kameraden, wenn sie am Abend vom Arbeitsplatz ins Lager zurückgehetzt wurden, in den typischen Stoßseufzer ausbrachen: »Nun, wieder ein Tag vorbei!«

Die Träume der Häftlinge
     
    Es ist nur allzu begreiflich, wenn in dieser seelischen Zwangslage und unter dem Druck der Notwendigkeit, sich auf die unmittelbare Lebenserhaltung zu konzentrieren, das ganze Seelenleben auf eine gewisse primitive Stufe hinuntergeschraubt erscheint. Psychoanalytisch orientierte Kollegen unter den Kameraden sprachen daher oft von einer »Regression« des Menschen im Lager, von seinem Rückzug auf eine primitivere Form seelischen Lebens. Deutlich wird diese Primitivität der Wünsche und Strebungen an den typischen Träumen der Häftlinge.
    Wovon träumt der Lagerinsasse am häufigsten? Er träumt von Brot, von Torten, von Zigaretten und von einem guten, warmen Wannenbad. Der Fortfall einer Befriedigung der entsprechenden primitivsten Bedürfnisse läßt ihn deren Erfüllung im primitiven Wunschtraum erleben. Was dieses Träumen dem Träumer antut, wenn er zur Wirklichkeit des Lagerlebens erwacht und den schrecklichen Kontrast zwischen Traumillusion und Lagerwirklichkeit empfindet, ist eine Sache für sich. Ich werde jedenfalls nie vergessen, wie ich eines Nachts dadurch geweckt wurde, daß der neben mir schlafende Kamerad, sichtlich unter der Einwirkung irgend eines schreckhaften Alptraumes, laut stöhnend sich herumwälzte. Ich will hierzu vorerst noch bemerken, daß ich persönlich seit je ein besonderes Mitleid für Menschen empfinde, die irgendwie von ängstlichen Wahn- oder Traumvorstellungen gequält werden. So war ich schon nahe daran, meinen armen, vom Alp geplagten Kameraden zu wecken. In diesem Augenblick erschrak ich über meinen Vorsatz und zog auch schon die Hand wieder zurück,

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