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... trotzdem Ja zum Leben sagen: Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager (German Edition)

... trotzdem Ja zum Leben sagen: Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager (German Edition)

Titel: ... trotzdem Ja zum Leben sagen: Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor E. Frankl
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die den Träumer wachrütteln sollte. Denn in diesem Augenblick war mir so ganz intensiv zu Bewußtsein gekommen, daß kein Traum, auch nicht der schrecklichste, so arg sein kann wie die Realität, die uns dort im Lager umgab und zu deren wach-bewußtem Erleben jemanden zu erwecken ich im Begriffe war...

Hunger
     
    Die denkbar höchstgradige Unterernährung, unter der die Häftlinge zu leiden hatten, läßt es selbstverständlich erscheinen, daß innerhalb der primitiven Triebhaftigkeit, zu der das seelische Leben im Lager »regrediert«, der Nahrungstrieb im Mittelpunkt steht. Beobachten wir einmal das Gros der Häftlinge, wenn sie auf dem Arbeitsplatz beisammenstehen und gerade einmal nicht scharf beaufsichtigt werden. Sogleich werden sie vom Essen zu reden beginnen! Sofort wird einer damit anheben, sich nach den Lieblingsspeisen des Kameraden zu erkundigen, der da neben ihm im Graben arbeitet. Dann fangen sie an, Kochrezepte auszutauschen und Menüs zusammenzustellen für den Tag, an dem sie einander zu einer kleinen Wiedersehensfeier einladen wollen, dereinst, wenn sie befreit und heimgekehrt sind. Dies alles sich auszumalen, davon werden sie dann nicht mehr ablassen können, bis plötzlich das Aviso, meist in getarnter Form, z.B. durch Nennung bestimmter Ziffern, im Graben weitergegeben wird: Der Posten kommt! Ich selbst habe diese fortwährenden, fast zwangsvorstellungsmäßigen Gespräche vom Essen (im Lager nannte man diese Gespräche »Magenonanie«) immer für bedenklich gehalten. Man soll nicht den Organismus, dem es nun einmal halbwegs schon gelungen ist, sich auf die äußerst niedrigen Rationen bzw. Kalorienmengen irgendwie einzustellen, durch solche intensiven und affektgeladenen Vorstellungen von Leckerbissen und dergleichen gleichsam provozieren. Was einem da psychisch momentan Erleichterung verschaffen mag, sind Illusionen, die sich im Physiologischen sicher nicht ungefährlich auswirken werden.
    In der letzten Zeit bestand die tägliche Nahrung aus einer einmal im Tag verabreichten, recht wässerigen Suppe und der angeführten kleinen Brotration; dazu kam die sogenannte Zubuße, bestehend entweder aus 20 g Margarine oder einer Scheibe minderwertiger Wurst oder einem kleinen Stückchen Käse oder Kunsthonig oder einem Löffel flüssiger Marmelade usf., täglich wechselnd. Kalorienmäßig eine absolut unzureichende Ernährung, erst recht in Anbetracht der schweren körperlichen Arbeit, des Ausgesetztseins gegenüber dem Frost, noch dazu in höchst mangelhafter Kleidung.
    Kranke, die in »Schonung« waren, also in der Baracke liegenbleiben durften und nicht zur Außenarbeit das Lager verlassen mußten, waren noch schlechter dran. Waren einmal die allerletzten Reste Fett im Unterhautzellgewebe aufgebraucht, sahen wir einmal wie mit Haut und darüber einigen Fetzen verkleidete Gerippe aus, dann konnten wir zusehen, wie der Körper sich selbst aufzufressen begann: der Organismus zehrte sein eigenes Eiweiß auf, die Muskulatur schwand dahin. Nun hatte der Körper auch keinerlei Widerstandskräfte mehr. Einer nach dem andern aus der Gemeinschaft der Baracke starb weg. Jeder konnte sich ziemlich genau ausrechnen, wer der nächste sein werde und wann er selber an die Reihe komme. Kannte man doch aus der mannigfachen Beobachtung schon zur Genüge die Symptome, die solche Prognosen mit ziemlich sicher voraussagbarem Termin ermöglichten. »Der macht’s nicht mehr lang«, oder: »Der ist der Nächste«, so etwa flüsterten wir einander zu. Und wenn wir, abends vor dem Schlafengehen uns entlausend, den eigenen Körper nackt sahen, da dachte jeder von uns beiläufig dasselbe: Eigentlich ist dieser Körper da, mein Körper, schon ein Kadaver. Was war man noch? Ein kleiner Teil einer großen Masse Menschenfleisch; einer Masse hinter Stacheldrähten, die in ein paar Erdhütten gezwängt war; einer Masse, von der täglich ein ganz bestimmter Prozentsatz zu faulen begann, weil er leblos geworden war.
    Wir sprachen vorhin vom zwangsvorstellungsartigen Charakter der Gedanken ans Essen oder an einzelne Lieblingsspeisen, die sich dem Häftling, sobald er nur ein bißchen Zeit oder im Bewußtsein dafür Platz hat, aufzudrängen pflegen. So ist es zu verstehen, daß gerade die Besten unter uns die Zeit herbeisehnten, in der sie wieder einmal halbwegs normal verköstigt sein könnten, aber nicht um des guten Essens willen, sondern damit dieser menschenunwürdige Zustand endlich aufhöre, in dem man eben an nichts anderes

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