... trotzdem Ja zum Leben sagen: Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager (German Edition)
brauchst, dann ruf mich sofort. Ich muß mich jetzt ohnedies um den Ernst kümmern. Der macht’s eh’ nimmer lang.
FRANZ: Hast recht.
PAUL: Ernst, wie geht’s?
ERNST (er besonders in der etwas lallenden Sprache halbverhungerter Menschen): Danke, schlecht. (Sachlich) Morgen könnt ihr mich abschreiben.
PAUL (gekünstelt): Unsinn. So schlecht beinand wie du war ich schon oft.
ERNST: Ich sag, was ich sag, und ich weiß, was ich sag. Aber ich geb zu, es ist komisch – zu wissen: jetzt bin ich, und morgen bin ich nicht. Oder wo bin ich morgen?
SPINOZA: Solang die da unter »wo« einen Ort im dreidimensionalen Raum verstehen, werden sie nicht klug werden und ist ihnen nicht zu helfen.
KANT: Und ich behaupte, es ist besser, sie wissen nicht alles. Wüßten sie alles, dann müßten sie sich nicht erst entscheiden für das scheinbar Sinnlose, eben für das, was nur irgendwo ist, aber nie hier oder dort – wo sie es sehen und greifen könnten.
SOKRATES: Es ist genug, wenn sie ihren Dämon haben – die innere Stimme hab ich so genannt. Hätten sie hingegen alles schwarz auf weiß, dann hätte das ganze Spiel keinen Sinn mehr – und wir kämen nimmer auf unsere Rechnung.
MUTTER (neigt sich über Franz): Mein Kind, ist dir schlecht?
FRANZ (vor sich hin): Mutter, Mutter! Was ist los mit mir – was geschieht mit mir? (Langsam) Ist das der Tod?
MUTTER: Ich weiß nicht – und wüßt ich’s, ich dürft es dir nicht sagen.
KARL: Wart ruhig ab, Franzl. Wir sind bei dir – hab keine Angst.
FRANZ: Karl, wär ich nur schon bei dir!
KARL: Franzl, ich bin bei dir.
MUTTER: Er hört dich nicht – er hört uns nie. Hast du es denn noch nicht heraus?
KARL: Gerade das tut mir so weh, Mutter.
MUTTER: Man gewöhnt sich. Es dauert nicht lange.
KARL: Für ihn schon.
MUTTER: Auch nicht. – Sobald er bei uns ist, ist alles nicht mehr der Rede wert.
FRANZ: Ich soll sterben? Wie schön! Ich hab mich immer gefürchtet davor – jetzt weiß ich aber, wie das ist. (Verklärt) Ich komme euch nahe – allen. Allen Dingen...
SPINOZA: Stirbt er, Herr Professor?
KANT: Man müßte sich erkundigen.
SOKRATES: Ich glaube, der daneben (auf Ernst weisend) ist dran. Meinen Sie nicht auch, Herr Professor?
KANT: Was wissen wir?
FRANZ: Oder ist das noch nicht der Tod? Soll ich noch hoffen? Werde ich meine Arbeit fertig machen dürfen – meine große Arbeit, die unvollendete? Das Theaterstück (wehmütig), das ich immer schreiben wollte. Die Notizen sind fort – hingeworfen im Brausebad in Buchenau. Mutter – Karl! Ihr wißt, wie mich das getroffen hat. Wißt ihr es? Und jetzt soll ich nicht einmal mehr die Hoffnung haben können, es zu vollenden, das Stück? (Übermannt, schmerzlich) Nicht einmal ein Bruchstück bleibt – nichts bleibt von mir! Morgen vielleicht bin ich ebenso ein Nichts wie heute du, Karl, und vielleicht die Mutter.
KARL: Mutter, kannst du ihn nicht beruhigen, kannst du ihn nicht trösten?
MUTTER: Wie denn? Er sieht uns nicht, er hört uns nicht, kein Mensch versteht etwas von dem, was wir denken... Find dich doch drein! Sie müssen ihren Weg zu Ende gehen, allein, jeder für sich. Niemand und nichts kann ihnen helfen – das ist es ja, worauf es ankommt: daß sie sich allein zurechtfinden.
KARL: Das also ist es, was wir Leben nannten?
MUTTER: Das ist es – soweit wir es jetzt schon begreifen.
FRANZ: Aber ich will tapfer sein – einmal im Leben, dieses eine Mal. – Im Leben, sag ich? Im Tode, meine ich! Ja! Mutter – Karl – Herr! Ich will tapfer sein! Ich – will – verzichten! Jawohl: ich verzichte, auf die Vollendung – die Vollendung meines Theaterstücks!
SPINOZA: Haben Sie ihn gehört? Er verzichtet – auf die Vollendung des Stücks.
SOKRATES: Und gewinnt damit die Vollendung seiner selbst – zu einem Ganzen...
KANT: Sie werden sehen, Baruch, so ist es!
FRANZ: Der da neben mir – der wird nicht sterben – ich bin es, der sterben muß. (Und jetzt laut) Paul?
PAUL: Ja – gibt’s was? Was ist los, Franz?
FRANZ: Komm einmal her! Wie geht’s dem daneben? Besser, was?
PAUL: Ja – warum denn, merkst du’s von deinem Brett aus?
FRANZ: Ich hab’s gemerkt – irgendwie weiß ich’s. Wirst sehen, er übertaucht’s!
PAUL: Mag sein – fast sieht es so aus. Aber du – wie geht’s dir? Ist dir jetzt auch schon besser, Franz?
FRANZ: Ja – und nein – wie man’s nimmt.
PAUL: Schau dazu! Nur durchhalten bis morgen. Morgen gibt’s wieder Suppe, wirst sehen. Gute
Weitere Kostenlose Bücher