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Trucks. Erzählungen

Trucks. Erzählungen

Titel: Trucks. Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Leuchtreklame der Bank. Sie war wie ein Willkommensgruß. Es war zehn Uhr achtundvierzig, aber mir war, als hätte ich mein ganzes Leben auf diesem fünfundzwanzig Zentimeter breiten Mauervorsprung zugebracht.
    Gnade Gott, wenn Cressner versuchen sollte, mich zu betrügen. Der Drang zur Eile war verschwunden. Ich schlich fast. Es war elf Uhr neun, als ich zuerst die rechte, dann die linke Hand auf das schmiedeeiserne Balkongitter legte. Ich zog mich hoch, rollte mich über das Geländer und blieb erschöpft liegen... dann spürte ich den kalten Lauf eines Revolvers Kaliber 45 an der Schläfe.
    Ich schaute hoch und sah einen Kerl, der so häßlich war, daß bei seinem Anblick der Big Ben stehengeblieben wäre. Er grinste.
    »Ausgezeichnet!« hörte ich Cressners Stimme aus dem Zimmer. »Ich gratuliere Ihnen, Mr. Norris.« Er applaudierte. »Bringen Sie ihn rein, Tony.«
    Tony riß mich so heftig auf die Füße, daß mein verletzter Knöchel umknickte. Ich taumelte gegen die Balkontür.
    Cressner stand im Wohnzimmer vor dem Kamin und trank Brandy aus einem Schwenker so groß wie ein Goldfischglas. Das Geld lag wieder in der Einkaufstasche. Sie stand immer noch mitten auf dem orangefarbenen Veloursteppich.
     
    Ich sah mich im Spiegel an der gegenüberliegenden Wand. Die Haare wirr und das Gesicht bleich. Nur zwei helle rote Flecken auf den Wangen. Meine Augen waren die eines Irren.
    Ich sah mich nur kurz, denn im nächsten Augenblick flog ich durch das Zimmer. Ich knallte gegen einen Stuhl, und mir blieb die Luft weg.
    Als ich wieder halbwegs atmen konnte, sagte ich: »Sie schäbiger Betrüger, das war von vornherein Ihre Absicht.«
    »In der Tat«, sagte Cressner und stellte vorsichtig sein Glas auf das Kaminsims. »Aber ich bin kein Betrüger, Mr. Norris. Ganz gewiß nicht. Ich bin nur ein äußerst schlechter Verlierer. Tony wird darauf achten, daß Sie nichts... Unkluges tun.« Er hob die Hand unter das Kinn und lachte leise.
    »Sie haben mich hochgehen lassen«, sagte ich langsam. »Irgendwie ist es Ihnen gelungen.«
    »Durchaus nicht. Das Heroin wurde aus Ihrem Wagen entfernt. Der Wagen selbst steht wieder auf dem Parkplatz. Das Geld steht dort drüben. Nehmen Sie es und verschwinden Sie.«
    »Sehr schön«, sagte ich.
    Tony stand an der Glastür zum Balkon und sah immer noch aus wie von Allerheiligen übriggeblieben. Er hielt den Revolver in der Hand. Ich ging zu der Einkaufstasche und nahm sie auf. Mit zitternden Fußgelenken näherte ich mich der Tür und erwartete, hinterrücks erschossen zu werden. Aber als ich die Tür öffnete, hatte ich das gleiche Gefühl wie auf dem Vorsprung, als ich die vierte Ecke geschafft hatte: ich schaffe es.
    Cressners träge und ein wenig amüsierte Stimme ließ mich stehenbleiben.
    »Sie glauben doch nicht ernsthaft, daß jemand auf den Trick mit der verschwundenen Jungfrau reingefallen ist?«
    Ich drehte mich langsam um, die Einkaufstasche im Arm. »Wie meinen Sie das?«
    »Ich habe Ihnen gesagt, daß ich nie betrüge, und das tue ich auch nicht. Sie haben drei Dinge gewonnen, Mr. Norris. Das Geld, Ihre Freiheit und meine Frau. Die letztere können Sie im städtischen Leichenschauhaus abholen.«
    Ich starrte ihn nur an, unfähig mich zu bewegen. Wie angewurzelt stand ich da, vom lautlosen Donner des Schocks getroffen.
    »Sie haben doch nicht wirklich geglaubt, daß ich sie Ihnen überlasse?« fragte er mich mitleidig. »O nein. Das Geld, ja. Ihre Freiheit, ja. Aber nicht Marcia. Dennoch habe ich nicht betrogen. Und wenn Sie sie begraben haben -«
    Ich ging nicht in seine Nähe. Noch nicht gleich. Ihn hob ich mir für später auf. Ich ging auf Tony zu, der ein wenig überrascht aussah, bis Cressner gelangweilt sagte:
    »Erschießen Sie ihn bitte.«
    Ich warf die Tasche mit dem Geld. Ich traf die Hand mit der Waffe, und ich traf sie hart.
    Ich hatte meine Arme und Handgelenke dort draußen nicht anstrengen müssen, und sie sind bei einem Tennisspieler das Beste. Die Kugel fuhr in den orangefarbenen Veloursteppich, und dann hatte ich den Kerl.
    Sein Gesicht war das Schlimmste an ihm. Ich riß ihm die Waffe aus der Hand und zog ihm den Lauf mit aller Kraft über das Nasenbein. Mit einem müden Grunzen sank er zu Boden. Er sah gar nicht gut aus.
    Cressner war schon fast aus der Tür. Ich feuerte einen Schuß über seine Schulter und sagte: »Stehenbleiben, oder Sie sind ein toter Mann.«
    Er überlegte es sich sehr schnell und blieb stehen. Als er sich umdrehte, war seine

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