Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Trübe Wasser sind kalt

Trübe Wasser sind kalt

Titel: Trübe Wasser sind kalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
Vom Netzwerk:
ein anderes Grundstück gegangen. Oder vielleicht ist er vom Strand hoch gekommen.«
    Lucy wußte nicht, was sie denken sollte, als sie mich ansah. »Du wirst nicht mehr hierherkommen?« fragte sie mich. »Überhaupt nicht mehr?«
    »Nein«, sagte ich, »ich komme nicht mehr hierher, wenn es nach mir geht.« Sie half mir beim Packen meiner restlichen Sachen, und ich berichtete von dem eben Geschehenen erst, als wir in Marinos Auto schnell über die 64 West nach Richmond fuhren. »Scheiße«, rief er. »Der verdammte Bastard hat sich an dir vergriffen. Verflucht noch mal. Warum hast du nicht geschrien?«
    »Ich glaube, er sollte mich auf Geheiß eines anderen belästigen«, sagte ich.
    »Ist mir doch egal, was er sollte. Er hat sich trotzdem an dir vergriffen. Du solltest einen Haftbefehl erwirken.«
    »Jemanden zu belästigen ist nicht gegen das Gesetz«, sagte ich.
    »Er hat dich begrabscht.«
    »Und deshalb soll ich ihn verhaften lassen, weil er mich am Arm gegrabscht hat?«
    »Er hätte überhaupt nichts angrabschen sollen.« Er fuhr aggressiv. »Du hast ihm gesagt, er soll dich loslassen, und er hat's nicht getan. Das ist Entführung. Und zumindest ist das ein einfacher Übergriff. Verdammt, das geht nicht mit rechten Dingen zu.«
    »Du mußt ihn der Abteilung für interne Angelegenheiten melden«, sagte Lucy vom Vordersitz, wo sie am Frequenzsuchknopf herumfummelte, weil sie ihre Hände nicht stillhalten konnte. »He, Pete, das Rauschen darf nicht sein«, sagte sie zu ihm. »Und auf Kanal drei ist nichts zu hören. Das ist das dritte Revier, nicht wahr?«
    »Was erwartest du denn, wenn ich so verteufelt nah an Williamsburg dran bin? Glaubst du, ich bin von der Staatspolizei?«
    »Nein, aber wenn du mit einem von denen reden willst, kann ich das womöglich hinkriegen.«
    »Ich bin sicher, du kannst hier sogar das verdammte Space Shuttle reinkriegen«, bemerkte er gereizt. »Wenn du das kannst«, sagte ich zu ihr, »wie war's, wenn du mich da raufbeamst?«

Kapitel 6
    Wir kamen um halb drei in Richmond an, und ein Mann vom Sicherheitsdienst ließ uns in das bewachte Viertel, in das ich erst vor kurzem gezogen war. Es hatte hier nicht geschneit, das war typisch für diese Ecke Virginias, und von den Bäumen tropfte es heftig, weil der Regen sich in der Nacht in Eis verwandelt hatte. Und nun waren die Temperaturen gestiegen. Mein Haus lag etwas abseits der Straße auf einem Steilufer, von dem aus man auf eine felsige Biegung des James River blickte. Das baumbestandene Grundstück war von einem schmiedeeisernen Zaun umgeben, durch dessen Gitterstäbe sich Nachbarskinder nicht hindurchzwängen konnten. Ich kannte keinen Menschen in meiner Umgebung und hatte auch nicht die Absicht, daran etwas zu ändern.
    Ich hatte die Probleme nicht vorausgesehen, als ich zum ersten Mal in meinem Leben daran dachte zu bauen, aber ob es nun das Schieferdach oder die Farbe meiner Haustür waren, jeder schien etwas daran auszusetzen zu haben. Als es schließlich soweit gekommen war, daß die frustrierten Anrufe meines Bauleiters mich im Leichenschauhaus störten, hatte ich der Anwohnervereinigung mit einem Prozeß gedroht. Natürlich waren die Einladungen zu Festen in dieser Gegend nicht gerade zahlreich. »Ich bin sicher, deine Nachbarn werden sich freuen, daß du wieder zu Hause bist«, meinte meine Nichte trocken, als wir ausstiegen.
    »Ich glaube nicht, daß sie mir noch viel Aufmerksamkeit widmen.« Ich kramte nach meinen Schlüsseln. »Quatsch«, sagte Marino. »Du bist die einzige Person hier, die ihre Tage an Mordschauplätzen und mit dem Aufschneiden von Leichen zubringt. Wahrscheinlich schauen sie die ganze Zeit, wenn du daheim bist, aus ihren Fenstern. Was weiß ich, die Wächter rufen wahrscheinlich alle nacheinander an, um ihnen mitzuteilen, wenn du wieder im Anrollen bist.«
    »Besten Dank«, sagte ich und schloß die Haustür auf. »Und ich war gerade dabei, mich hier ein bißchen mehr aufgehoben zu fühlen.«
    Die Alarmanlage summte laut ihre Warnung, daß ich besser rasch die entsprechenden Tasten drückte, und ich blickte mich wie üblich um, weil mir mein Heim immer noch fremd vorkam. Ich fürchtete, das Dach wäre undicht, Putz würde herunterbröckeln oder etwas anderes versagen, und als alles in Ordnung war, empfand ich eine ungeheure Freude an dem, was ich erreicht hatte. Mein Haus war zweistöckig und sehr hell, mit Fenstern, die jedes Photon Licht einfingen. Das Wohnzimmer hatte eine Glasfront, die mir einen

Weitere Kostenlose Bücher