Trübe Wasser sind kalt
immer wenn ich es irgendwo roch, war ich einen kurzen Augenblick gebannt, so wie jetzt.
»Geht es dir gut?« fragte er in einem Ton, der nur für mich bestimmt war, als er im Türrahmen stehenblieb. »Nein«, sagte ich. »Das ist alles ziemlich schrecklich.« Ich schloß eine Schranktür ein wenig zu energisch.
Er trat in den Flur. »Nun, wir müssen uns seine Finanzen sehr genau anschauen, um zu sehen, wo er das Geld für Restaurants und teuren Champagner her hatte.«
Die Unterlagen waren in seinem Büro, und die Polizei hatte sie noch nicht durchgesehen, weil es offiziell kein Verbrechen gegeben hatte. Ungeachtet meiner Vermutungen über Eddings' Tod und der seltsamen Ereignisse im Gefolge, hatten wir im Augenblick, rechtlich gesehen, noch keinen Mordfall.
»Ist jemand schon an seinem Computer gewesen?« fragte Lucy, die den 486er auf seinem Schreibtisch ansah. »Nee«, sagte Marino, der Akten in einem grünen Metallschrank durchging. »Einer der Leute hat gesagt, wir kämen nicht rein.«
Sie betätigte die Maus, und ein Paßwortfenster tauchte auf dem Bildschirm auf.
»Okay«, sagte sie. »Er hat ein Paßwort, was nichts Ungewöhnliches ist. Sonderbar ist aber, daß er keine Diskette in seinem Laufwerk hat. He, Pete? Habt ihr irgendwelche Disketten hier gefunden?«
»Ja, schon, da oben ist eine ganze Schachtel.« Er deutete auf ein Regal mit Büchern über den Bürgerkrieg und einer umfangreichen, in Leder gebundenen Enzyklopädie. Lucy holte die Schachtel herunter und öffnete sie. »Nein. Da sind Programmdisketten für WordPerfect.« Sie sah uns an. »Ich will damit bloß sagen, daß die meisten Leute ihre Texte nochmal abspeichern, vorausgesetzt, er hat zu Hause an etwas gearbeitet.«
Das konnte keiner sagen. Wir wußten nur, daß Eddings in dem AP-Büro in der Fourth Street angestellt war. Wir wußten nicht, was er zu Hause machte, bis Lucy seinen Computer neu startete, herumzauberte und irgendwie in die Programmdateien gelangte. Sie setzte den Bildschirmschoner außer Funktion und suchte dann in den WordPerfect-Ordnern herum, die alle leer waren. Eddings hatte keine einzige Datei.
»Scheiße«, sagte sie. »Das ist ziemlich bizarr, es sei denn, er hat seinen Computer nie benutzt.«
»Das kann ich mir nicht vorstellen«, sagte ich. »Selbst wenn er in der Innenstadt arbeitete, muß er doch zu Hause bestimmt ein Büro gehabt haben.«
Sie tippte noch etwas herum, während Marino und Wesley verschiedene Abrechnungen durchgingen, die Eddings ordentlich in einer Ablage in einer Schublade seines Aktenschranks aufbewahrt hatte.
»Ich hoffe bloß, er hat nicht sein ganzes Unterverzeichnis gelöscht«, sagte Lucy, die nun im Betriebssystem war. »Das kann ich ohne Backup nicht wiederherstellen, und er scheint kein Backup zu haben.«
Ich sah ihr zu, wie sie undelete*. * eintippte und die Enter-Taste drückte. Wie durch Zauber erschien eine Datei namens killdrug.old, und als sie dies bestätigte, folgte ein weiterer Name. Als sie fertig war, hatte sie sechsundzwanzig Dateien wiederhergestellt, während wir verblüfft zusahen.
»Das ist das Tolle an DOS 6«, sagte sie nur, als sie den Drucker startete.
»Können Sie sagen, wann sie gelöscht wurden?« fragte Wesley. »Zeit und Datum auf den Dateien sind alle gleich«, erwiderte sie. »Verdammt. 31. Dezember, zwischen ein Uhr eins und ein Uhr fünfunddreißig. Da ist er vermutlich doch schon tot gewesen.«
»Das hängt davon ab, wann er nach Chesapeake gefahren ist«, sagte ich. »Sein Boot ist erst um sechs Uhr entdeckt worden.«
»Übrigens ist die Uhr auf dem Computer richtig eingestellt. Also sollten diese Zeiten stimmen«, fügte sie hinzu. »Würde es länger als eine halbe Stunde dauern, so viele Dateien zu löschen?« fragte ich. »Nein. Das ginge in Minuten.«
»Dann dürfte sie jemand gelesen haben, bevor er sie löschte«, sagte ich.
»Das machen viele Leute. Wir brauchen mehr Papier für den Drucker. Wartet, ich klaue mir was vom Faxgerät.«
»Wo wir gerade davon reden«, sagte ich, »können wir davon einen Sendebericht haben?«
»Sicher.«
Sie produzierte eine Liste mit bedeutungslosen Faxdiagnosen und Telefonnummern, die ich später überprüfen wollte. Aber zumindest wußten wir mit Sicherheit, daß um die Zeit, da Eddings starb, jemand in seinen Computer eingedrungen und jede einzelne Datei gelöscht hatte. Wer dafür verantwortlich war, konnte nicht schrecklich gewieft gewesen sein, erklärte Lucy, weil ein Computerexperte auch das
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