Trübe Wasser sind kalt
unfair, sagte ich mir, als ich meine Füße auf den Boden setzte.
Ich fuhr mir mit den Fingern durchs Haar, während ich mich innerlich rüstete, aufzustehen und mich dem Tag zu stellen. Etwas lag mir schwer auf dem Gemüt, dunkle Schatten von Träumen, die sich zwar schon wieder verflüchtigt hatten, aber von meinem Gefühl her sonderbar gewesen waren. Sie handelten von Wasser und grausamen Leuten, und ich hatte nichts ausrichten können und war verängstigt gewesen. Ich ging ins Badezimmer, duschte, griff mir einen Bademantel vom Haken und zog meine Hausschuhe an. Marino und meine Nichte saßen bereits angezogen in der Küche, als ich schließlich auftauchte. »Guten Morgen«, verkündete ich, als hätte ich Lucy heute noch nicht gesehen.
»Der Morgen hat schon gut angefangen.« Marino sah aus, als wäre er die ganze Nacht aufgewesen und fühlte sich nun abscheulich. Ich zog einen Stuhl heran und setzte mich zu ihnen an den Frühstückstisch. Mittlerweile war die Sonne aufgegangen, der Schnee schien Feuer zu fangen.
»Stimmt etwas nicht?« fragte ich; meine Nervenanspannung stieg.
»Erinnerst du dich an die Spuren draußen an der Mauer letzte Nacht?« Sein Gesicht war glühend rot. »Natürlich.«
»Nun, jetzt haben wir noch ein paar mehr.« Er stellte seine Kaffeetasse ab. »Bloß sind sie diesmal bei unseren Autos und stammen von gewöhnlichen Stiefeln mit Vibram-Profil. Und rate mal, Doc?« fragte er, als mir bereits eine bange Ahnung kam. »Wir drei fahren heute nirgendwohin, ehe nicht ein Abschleppwagen kommt.« Ich schwieg.
»Jemand hat unsere Reifen aufgeschlitzt.« Lucys Miene war versteinert. »Jeden einzelnen verdammten Reifen. Mit irgendeiner breiten Klinge, wie es aussieht. Ein großes Messer oder eine Machete vielleicht.«
»Die Moral von der Geschichte ist, daß todsicher kein irregeleiteter Nachbar oder nächtlicher Taucher auf dem Grundstück hier war«, fuhr er fort. »Ich glaube, hier hat jemand einen Auftrag. Und nachdem wir ihn verscheucht haben, ist er oder jemand anderes zurückgekommen.«
Ich holte mir Kaffee. »Wie lange wird es dauern, unsere Autos in Ordnung bringen zu lassen?«
»Heute?« sagte er. »Ich glaube nicht, daß jemand eure Karren heute repariert.«
»Es muß gehen«, meinte ich nüchtern. »Wir müssen von hier weg, Marino. Wir müssen zu Eddings' Haus. Und gerade jetzt scheint es in diesem Haus hier nicht besonders sicher zu sein.«
»Das nenne ich eine treffende Einschätzung«, sagte Lucy. Ich trat dicht an das Fenster über der Spüle und konnte deutlich unsere Wagen sehen; die Reifen sahen wie schwarze Pfützen im Schnee aus.
»Sie sind an der Seite und nicht am Profil aufgeschlitzt und können nicht geflickt werden«, sagte Marino.
»Also, was sollen wir dann tun?« fragte ich. »Richmond hat ein Hilfsabkommen auf Gegenseitigkeit mit anderen Polizeidezernaten, und ich habe bereits mit Virginia Beach gesprochen. Sie sind unterwegs.«
Sein Wagen brauchte Polizeireifen und -felgen, während Lucys und mein Auto Goodyears und Michelins benötigten, weil wir, im Gegensatz zu Marino, mit unseren Privatwagen hier waren. Ich führte ihm das alles vor Augen.
»Es ist schon ein Abschleppwagen für euch unterwegs«, sagte er, als ich mich wieder hinsetzte. »Irgendwann in den nächsten paar Stunden werden sie deinen Benz und Lucys Scheißkiste aufladen und sie zum Bell Tire Service am Virginia Beac h Boulevard karren.«
»Das ist keine Scheißkiste«, sagte Lucy.
»Warum zum Teufel hast du so ein Ding gekauft, das di e Farbe von Papageienscheiße hat? Kommen da deine Miami-Wurzeln zum Vorschein, oder was?«
»Nein, da kommt mein Budget zum Vorschein. Ich hab das Ding für neunhundert Dollar bekommen.«
»Was machen wir in der Zwischenzeit?« fragte ich. »Du weißt, sie werden es nicht eilig haben. Es ist Neujahr.«
»Da hast du recht«, sagte er. »Und ganz einfach, Doc. Wenn du nach Richmond willst, fährst du mit mir.«
»Fein.« Ich wollte mich nicht mit ihm streiten. »Dann erledigen wir mal soviel wie möglich, damit wir aufbrechen können.«
»Dann fang mit dem Packen an«, sagte er zu mir. »Meiner Meinung nach solltest du hier gleich endgültig das Feld räumen.«
»Ich habe keine andere Wahl, als hierzubleiben, bis Dr. Mant aus London zurückkehrt.«
Doch ich packte, als käme ich in diesem Leben nicht wieder in sein Haus. Dann führten wir die forensische Untersuchung durch, so gut es uns möglich war, denn das Aufschlitzen von Reifen war ein
Weitere Kostenlose Bücher