Trübe Wasser sind kalt
schenkte.
»Na, was machst du hier so spät?« sagte sie, als wäre das vorher noch nie passiert. »Wo warst du denn früher am Abend, als es hier hoch herging?«
»Sag mal«, wandte sich Marino an sie, »wie war denn in der Kneipe mit dem besten Steaksandwich der Stadt so das Geschäft?« Er rückte näher heran, damit andere nicht hören konnten, was er zu sagen hatte.
Daigo war eine drahtige Schwarze, und sie beäugte mich so, als hätte sie mich schon einmal gesehen. »Sie sind vorhin aus allen Ecken hierhergekrochen«, meinte sie. »Ich dachte schon, ich fall um. Kann ich etwas für dich und deine Freundin holen, Captain?«
»Vielleicht«, sagte er. »Du kennst doch den Doc hier, oder?«
Sie runzelte die Stirn, und dann leuchtete ein Wiedererkennen in ihren Augen auf. »Ich wußte doch, ich hab Sie schon hier gesehen. Mit ihm. Seid ihr schon verheiratet?« Sie lachte, als sei dies das Witzigste, das sie je gesagt hatte.
»Hör mal, Daigo«, fuhr Marino fort, »wir möchten wissen, ob ein Jugendlicher heute hergekommen ist. Weiß, langes dunkles Haar, sieht echt gut aus. Müßte eine Lederjacke, Jeans, Pullover, Tennisschuhe und eine leuchtend rote Knieschiene getragen haben. Etwa fünfundzwanzig Jahre alt. Er hat einen schwarzen Mercedes Benz mit einer Menge Antennen drauf gefahren.«
Ihre Augen verengten sich, und ihre Miene wurde grimmig, als Marino weiterredete. Das Geschirrtuch hing schlaff in ihrer Hand. Ich vermutete, daß die Polizei ihr schon früher Fragen über andere unerfreuliche Angelegenheiten gestellt hatte, und ich sah es ihrem verkniffenen Mund an, daß sie nichts übrig hatte für faule, böse Menschen, die nichts dabei empfanden, wenn sie anständiger Leute Leben ruinierten. »Oh, ich weiß genau, wen du meinst«, sagte sie. Ihre Worte wirkten wie ein Pistolenschuß. Sie hatte unsere volle Aufmerksamkeit; wir waren beide verblüfft. »Er ist reingekommen, so um fünf, schätze ich, weil es noch früh war«, sagte sie. »Wissen Sie, ein paar waren zum Biertrinken hier, so wie immer. Aber nicht so viele zum Abendessen. Er hat sich da drüben hingesetzt.«
Sie wies auf einen leeren Tisch ganz hinten unter einer Hängepflanze, wo das Bild eines Hahns die weiße Wand zierte. Als ich auf den Tisch blickte, an dem Danny seine letzte Mahlzeit eingenommen hatte, weil er meinetwegen in der Stadt war, sah ich ihn im Geist vor mir. Ein lebhafter und hilfsbereiter Junge, mit seinen klaren Zügen und dem glänzend schwarzen Haar, und dann lag er blutig und schmutzig an einem dunklen Hang voller Müll. Es versetzte mir einen Stich in der Brust, und einen Augenblick lang mußte ich wegschauen. Ich mußte meine Augen irgendwie anders beschäftigen.
Als ich mich wieder gefaßt hatte, wandte ich mich zu Daigo und sagte: »Er hat für mich gearbeitet. Er hieß Danny Webster.« Sie blickte mich lange an und verstand sehr genau. »Ach so«, sagte sie mit leiser Stimme, »er war das. Herr im Himmel, ich kann's nicht glauben. Es war überall in den Nachrichten, die Leute hier haben den ganzen Abend darüber geredet, weil es bloß am anderen Ende der Straße war.«
»Ja«, sagte ich.
Sie sah Marino mit einem fast bittenden Blick an. »Er war doch bloß ein Junge. Kommt hier völlig arglos rein und hat nur ein Seemannssandwich gegessen, und dann bringt ihn jemand um! Ich sag euch« -sie wischte zornig über den Tresen -»es gibt zuviel Böses. Verdammt zuviel! Mich kotzt das an. Versteht ihr? Die Leute töten und morden, als wäre es gar nichts.« Ein paar Essensgäste in der Nähe hörten unsere Unterhaltung mit, aber sie behelligten uns nicht mit Blicken oder Bemerkungen. Marino war in Uniform. Er war eindeutig der Vertreter des Gesetzes, und das veranlaßte die Menschen, sich um ihre eigenen Angelegenheiten zu kümmern. Wir warteten, bis Daigo ihrem Unmut genügend Luft gemacht hatte, und setzten uns dann an einen Tisch in der ruhigsten Ecke der Bar. Dann nickte sie einer Bedienung zu.
»Was möchten Sie, meine Liebe?« fragte Daigo. Ich glaubte, ich würde nie wieder essen können, und bestellte einen Kräutertee, aber das ließ sie nicht gelten. »Laß dir sagen, bring dem Chief hier eine Schale von meinem Brotpudding mit Jack Daniel's-Soße, aber keine Bange, der Whiskey ist verkocht«, sagt sie, und nun war sie die Ärztin. »Und eine Tasse starken Kaffee. Captain?« Sie blickte Marino an. »Für dich das Übliche, Honey? Aha«, sagte sie, bevor er antworten konnte. »Das ist dann ein Steaksandwich,
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