Trübe Wasser sind kalt
nicht danach aus, als wäre er im Auto erschossen worden«, sagte ich.
»In wessen Auto?« fragte die Praktikantin, die sehr spät angefangen hatte, Medizin zu studieren, und viel zu ernst war. »In meinem Auto. Dem Mercedes.«
Die Praktikantin schien sehr verwirrt, bis ich ihr den Hergang nochmal erklärte. Dann machte sie eine ziemlich bestechende Bemerkung. »Besteht irgendeine Möglichkeit, daß Sie das Opfer sein sollten?«
»Herrgott.« Fielding stellte gereizt den Joghurtbecher hin. »Sie sollten so etwas nicht sagen.«
»Die Realität ist nicht immer erfreulich«, sagte die Praktikantin, die zwar sehr schlau, aber ebenso umständlich war. »Ich äußere nur die Vermutung, wenn Dr. Scarpettas Auto vor dem Restaurant parkte, das sie einige Male vorher aufgesucht hat, ob da nicht vielleicht jemand auf sie gewartet hat und überrascht wurde. Oder vielleicht war jemand dem Auto gefolgt und wußte nicht, daß nicht sie drin saß, da es dunkel war, als Danny hierher unterwegs war.«
»Gehen wir zu den anderen Fällen von heute morgen über«, sagte ich und nahm einen Schluck von Roses Kaffee, der mit Saccharin gesüßt und mit Dosenmilch versetzt war. Fielding nahm die vor ihm liegende Liste und ging sie in seinem üblichen ungeduldigen Ton durch. Zusätzlich zu Danny hatten wir drei Autopsien. Es handelte sich um ein Brandopfer, einen Gefangenen, der schon länger herzkrank gewesen war, und eine siebzigjährige Frau mit einem Schrittmacher. »Sie ist schon früher depressiv gewesen, hauptsächlich wegen ihrer Herzprobleme«, sagte Fielding gerade, »und heute morgen gegen drei Uhr hörte ihr Mann, wie sie aufstand. Offenbar ist sie ins Wohnzimmer gegangen und hat sich in die Brust geschossen.«
In Betracht kamen noch andere armen Seelen, die während der Nacht an Herzinfarkten gestorben oder bei Autounfällen ums Leben gekommen waren. Eine ältere Frau, die eindeutig an Krebs gestorben war, und einen Sozialhilfeempfänger, der an einer Herzkranzgefäßerkrankung gelitten hatte, wies ich ab. Schließlich schoben wir die Stühle zurück und gingen nach unten. Mein Personal bedrängte mich nicht mit Fragen. Niemand sprach im Aufzug, als ich starr auf die geschlossenen Türen sah, und im Umkleideraum legten wir Kittel an und wuschen uns schweigend die Hände. Ich zog mir die Schuhschoner und Handschuhe über, als Fielding an mich herantrat und mir ins Ohr flüsterte.
»Warum lassen sie nicht mich an ihm arbeiten?« Seine Augen blickten ernst.
»Ich kriege es schon hin«, sagte ich. »Aber vielen Dank.«
»Dr. Scarpetta, tun Sie sich das nicht an. Ich war in der Woche, als er hier war, nicht da. Ich bin ihm nie begegnet.«
»Ist schon in Ordnung, Jack.« Ich schritt davon. Es war nicht das erste Mal, daß ich Menschen obduzierte, die ich gekannt hatte, und die meisten Polizisten und selbst andere Ärzte verstanden das nicht immer. Sie wandten ein, die Ergebnisse seien objektiver, wenn ein anderer den Fall bearbeitete, aber das stimmte einfach nicht, solange Zeugen dabei waren. Ich hatte Danny ja auch nicht näher oder länger gekannt, aber er hatte für mich gearbeitet und war gewissermaßen für mich gestorben. Ich würde ihm die beste Behandlung zuteil werden lassen.
Er lag auf der Bahre neben Tisch eins, wo ich gewöhnlich meine Fälle bearbeitete, und sein Anblick an diesem Morgen war noch schlimmer und traf mich mit aller Macht. Der Körper war erkaltet, und vollkommene Leichenstarre war eingetreten, als hätte alles Menschliche in ihm während der Nacht aufgegeben, nachdem ich ihn verlassen hatte. Getrocknetes Blut war über sein Gesicht verschmiert, und seine Lippen waren geöffnet, als hätte er versucht zu reden, als das Leben aus ihm wich. Seine Augen hatten den trüben, schmalen Totenblick, und ich sah seine rote Knieschiene und erinnerte mich daran, wie er den Boden aufgewischt hatte. Ich dachte an seine Fröhlichkeit und den traurigen Blick auf seinem Gesicht, als er von Ted Eddings und anderen jungen Leuten gesprochen hatte, die plötzlich verstarben. »Jack.« Ich winkte Fielding her.
Er kam beinahe im Laufschritt zu mir. »Ja, Ma'am«, sagte er. »Ich werde auf Ihr Angebot zurückkommen.« Ich begann, Teströhrchen auf einem Besteckwagen zu beschriften. »Ich könnte Ihre Hilfe gebrauchen, wenn Sie sicher sind, Sie können es aushalten.«
»Was soll ich machen?«
»Wir werden ihn gemeinsam bearbeiten.«
»Kein Problem. Soll ich die Notizen machen?«
»Fotografieren wir ihn, wie er ist,
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