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Trügerische Ruhe

Trügerische Ruhe

Titel: Trügerische Ruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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»Was?«
    »Ich habe es drüben in Monaghan’s gehört. Die Dinosaurier haben von nichts anderem geredet.«
    »Was haben sie gesagt?« Der Ton von Ferns Frage war schärfer, als sie beabsichtigt hatte. Sie gab sich alle Mühe, die Fassung zurückzugewinnen und nicht rot zu werden.
    »Nun ja, die Fenster waren jedenfalls ziemlich beschlagen, als Chief Kelly bei dieser Dr. Elliot im Auto war. Ich meine, es ist ja nicht so, als hätte der Mann nicht mal ein bißchen Erholung verdient, nach all den Jahren ...« Mrs. Lubec verstummte, als sie Ferns Gesicht sah. Sie schien wie vom Donner gerührt.
    »Hören Sie, können wir uns vielleicht wieder unserem aktuellen Problem zuwenden?« ließ sich Dr. Lieberman vernehmen.
    »Ja, natürlich«, flüsterte Fern. Es ist nur leeres Geschwätz. Lincoln verteidigt die Frau in aller Öffentlichkeit, und schon glaubt die ganze Stadt, daß die beiden miteinander ins Bett gehen. Erst vor wenigen Monaten war Fern selbst den Gerüchten zufolge die Frau in Lincolns Leben gewesen. Auch nur leeres Geschwätz, das dadurch entstanden war, daß sie und Lincoln viele Stunden zusammen im Anti-Drogen-Projekt der Schule gearbeitet hatten. Sie verbannte das Thema Claire Elliot aus ihren Gedanken und richtete ihre Verärgerung gegen Lieberman, der die Leitung ihrer Konferenz an sich reißen wollte.
    »Autoritäres Durchgreifen bewirkt in dieser Altersgruppe herzlich wenig«, sagte er soeben. »Wir haben es hier mit einer Entwicklungsstufe zu tun, in der die Jugendlichen gerade gegen jegliche Form von Autorität rebellieren. Man vermittelt ihnen nicht die richtige Message, wenn man nur den Daumen draufhält und seine Macht unter Beweis stellt.«
    »Mir ist es inzwischen egal, welche Message ich ihnen vermittle«, sagte Fern. »Ich bin dafür verantwortlich, daß sie sich nicht gegenseitig umbringen.«
    »Dann drohen Sie ihnen doch mit dem Entzug von etwas, woran ihnen viel liegt. Sport, Klassenfahrten. Wie wäre es mit diesem Ball, den Sie geplant hatten? Das ist doch ein ziemlich wichtiges gesellschaftliches Ereignis für die Schüler, oder?«
    »Wir haben den Erntetanz schon zweimal abgesagt«, erwiderte Fern. »Das erste Mal wegen Mrs. Cornwallis, und das zweite Mal wegen all der Schlägereien.«
    »Aber sehen Sie doch, das ist etwas Positives, womit Sie sie anspornen können. Eine Belohnung für Wohlverhalten. Ich würde den Tanz nicht ausfallen lassen. Womit kann man sie sonst noch packen?«
    »Wie wäre es mit der Angst um ihr Leben?« murmelte die Englischlehrerin.
    »Positive Verstärkung«, sagte Lieberman. »Das ist das Mantra, das wir nie vergessen dürfen. Positiv. Positiv.«
    »Der Tanz könnte ein Desaster werden«, gab Fern zu bedenken. »Zweihundert Jugendliche, alle in einer Turnhalle zusammengepfercht. Da genügt eine Schlägerei, und schon bricht die totale Panik aus.«
    »Dann sondern Sie eben die Unruhestifter schon im Vorfeld aus. Das meine ich mit positiver Verstärkung. Sobald ein Schüler die Grenze auch nur um einen Zentimeter überschreitet, bleibt er beim Tanz draußen vor der Tür.« Er machte eine Pause. »Diese zwei Jungen heute, die sich geschlagen haben –«
    »Noah Elliot und J. D. Reid.«
    »Fangen Sie damit an, daß Sie an den beiden ein Exempel statuieren.«
    »Ich habe sie für den Rest der Woche vom Unterricht suspendiert«, sagte Fern. »Ihre Eltern kommen sie jetzt abholen.«
    »An Ihrer Stelle würde ich die ganze Schule wissen lassen, daß diese beiden nicht am Tanz teilnehmen dürfen und daß das gleiche allen Unruhestiftern blüht. An ihnen sollen alle sehen können, wie sie es besser nicht machen sollten.«
    In der langen Pause, die jetzt folgte, waren alle Blicke auf Fern gerichtet. Man erwartete eine Entscheidung. Sie war der Verantwortung überdrüssig; sie hatte es satt, immer schuld zu sein, wenn etwas schiefging. Und jetzt, da dieser Dr. Lieberman ihr genau sagte, was sie zu tun hatte, begrüßte sie fast die Gelegenheit, sich seinem Urteil zu unterwerfen – die Verantwortung auf jemand anderen abzuwälzen.
    »Also gut. Der Tanz steht wieder auf dem Plan«, sagte sie.
    Es klopfte an der Tür. Ferns Puls beschleunigte sich, als Lincoln Kelly den Raum betrat. Er war heute in Zivil, mit Jeans und seiner alten Sportjacke, und er brachte den Geruch des Winters mit. Schneeflocken glitzerten in seinen Haaren. Er sah müde aus, aber die Erschöpfung verstärkte nur seine Anziehungskraft auf Fern. Sie dachte, was sie schon so oft gedacht hatte: Du brauchst

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