Trügerisches Spiel (German Edition)
ihr, als wäre sie noch dort im Fahrstuhl.
Besorgt blickte Jay Jocelyn von der Seite her an. Seit sie das Hotelzimmer verlassen hatten, war sie still und erschreckend blass. Am liebsten hätte er sie irgendwo versteckt, aber es gab derzeit keinen Ort, an dem sie sicher genug wäre. Wenn er bei ihr war, konnte er zumindest sofort reagieren. Jay verzog den Mund. Nicht, dass ihm das bei Leones Männern geholfen hatte. Noch hatte er nicht überwunden, wie leicht es den Verbrechern gefallen war, ihn auszuschalten. Auch wenn er körperlich momentan nicht in Bestform war, hätte er irgendetwas tun müssen. Wäre es Leone nicht um Informationen gegangen, sondern darum, sie auszuschalten, hätte er nichts tun können, um ihn daran zu hindern. Und das schmerzte.
Wenigstens hatten seine Eltern keine Probleme mehr gehabt, anscheinend war der Schütze allein gewesen. Sie hatten ihn der Polizei übergeben, wo er erst einmal festsaß, während eine Anklage gegen ihn vorbereitet wurde. Wegen der Umstände hatten Jocelyn und Jay nur eine schriftliche Aussage machen können, die sie per Fax nach West Yellowstone geschickt hatten. Jay konnte verstehen, dass seine Kollegen in West Yellowstone frustriert waren, aber er konnte es nicht ändern. Bis die Sache geklärt war, konnte er Jocelyn nicht der Gefahr aussetzen, an einem Ort zu bleiben, wo der oder die Verbrecher sie mit Leichtigkeit erwischen konnten. Und das würde geschehen, wenn sie offiziell mit der Polizei sprach.
Jay schüttelte die Gedanken ab und konzentrierte sich aufs Fahren. Inzwischen war er im Finanzdistrikt angekommen, die Straße wurde auf beiden Seiten von Hochhäusern eingerahmt. Während er die richtige Hausnummer suchte und gleichzeitig nach möglichen Verfolgern Ausschau hielt, merkte er, dass Jocelyn immer heftiger atmete. Da er im dichten Verkehr das Lenkrad nicht loslassen wollte, konnte er nur versuchen, sie mit seiner Stimme zu beruhigen.
»Joss?«
Fast wie in Zeitlupe drehte sie ihm ihr Gesicht zu. Jede einzelne Sommersprosse stach dunkel auf ihrer blassen Haut hervor. »W…was?«
Immerhin reagierte sie noch, das war ein gutes Zeichen. »Versuch, tief durchzuatmen. Ich bin bei dir, es wird dir nichts geschehen.«
»Ich … versuche es.« Eine Weile atmete sie langsam ein und aus, etwas Farbe kehrte in ihr Gesicht zurück. Die Anspannung aber blieb. »Es ist lächerlich. Ich weiß, dass der Kerl tot ist, aber ich erwarte immer, dass er jeden Moment neben mir auftaucht.« Ihre Hände ballten sich auf ihren Oberschenkeln zu Fäusten. »Ich hasse es, dass er es geschafft hat, mir das anzutun. Seit einem Jahr fühle ich mich nicht mehr sicher, ich weiß nicht mal mehr, wer ich bin.«
»Tief in dir bist du noch der gleiche Mensch, auch wenn du eine andere Frisur und einen anderen Namen hast. Ich weiß, dass es dir jetzt nicht so vorkommt, Joss, aber ich bin sicher, dass du schnell wieder in dein altes Leben zurückfindest, wenn diese Verbrecher erst mal hinter Gittern sind.« Was hoffentlich bald der Fall sein würde.
»Vielleicht …« Jocelyn brach ab und deutete aus dem Fenster. »Da vorne ist es. Unter dem Gebäude gibt es eine Tiefgarage für Angestellte und Besucher.«
Jay überlegte kurz und bog dann in die Einfahrt zur Tiefgarage ein. Auch wenn es nicht ganz ungefährlich war, kam es ihm doch sinnvoller vor, als mehrere Straßen zu Fuß zum Gebäude zu laufen, denn in der Nähe gab es keine oberirdischen Parkplätze. Aus den Augenwinkeln sah er, wie sich Jocelyns Körper anspannte, doch dagegen konnte er jetzt nichts tun. Sollte es gar nicht gehen, würde er sie sofort wieder hinausbringen. In der Tiefgarage suchte er einen gut beleuchteten Parkplatz dicht an der Tür zum Treppenhaus. Er schaltete den Motor aus und wandte sich Jocelyn zu.
»Alles in Ordnung?« Eine dumme Frage, er konnte selbst sehen, dass es nicht so war.
Jocelyn öffnete die Augen und wandte sich ihm zu. Dankbar ergriff sie seine Hand. »Ja, lass uns schnell machen, ich möchte hier wieder raus.«
Das konnte er durchaus verstehen, ihm ging es ähnlich. Er drückte noch einmal ihre Finger und öffnete dann seine Tür. »Bleib im Wagen, bis ich auf deiner Seite bin.« Zwar wirkte alles ruhig, aber er wollte kein Risiko eingehen.
Mit der Hand auf dem Griff seiner Pistole stieg er aus dem Jeep und sah sich aufmerksam um, bevor er seine Tür schloss und um den Wagen herumging. Erst als er sicher war, dass sich niemand in der Nähe befand, öffnete er Jocelyns Tür und half ihr
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