Trügerisches Spiel (German Edition)
Jocelyns Augen. Wenigstens lebte Ralph noch! Aber sie konnte sich nicht vorstellen, wie es Marla jetzt gehen musste. Sie war sicher außer sich vor Sorge.
»Gibt es schon Hinweise auf den Täter? Haben sich Zeugen gemeldet?«
Die Augen der Reporterin blitzten, während sie sich vorbeugte, als wollte sie den Zuschauern ein Geheimnis verraten. »Aus gut informierten Kreisen habe ich gehört, dass die Frau des Verletzten in ihrer Aussage die Nachbarin beschuldigt hat. Eine junge Frau namens …« Sie zog einen Block hervor und blickte darauf. »… Hannah Turner. Sie arbeitet hier in der Stadt als Aerobic-Lehrerin und ist seit dem tragischen Ereignis verschwunden.«
Kälte breitete sich in Jocelyn aus, während sie wie im Schockzustand auf dem Bett saß und dem Bericht weiter lauschte.
»Hat die Ehefrau gesehen, wie es geschehen ist?« In der Stimme der Moderatorin lag eindeutig Sensationsgier.
»Nein, Marla Doherty hielt sich zum Tatzeitpunkt in der Küche auf. Sie hat durch das geöffnete Fenster gehört, wie ihr Mann mit Hannah Turner gesprochen hat, kurz bevor sie ein Scheppern hörte und ihren Mann blutend am Boden fand.« Die Reporterin setzte eine dramatische Miene auf. »Aber ich denke, es spricht für sich, dass Ms Turner nicht aufzufinden ist. Die Polizei sucht sie derzeit noch als Zeugin, aber ich denke, daraus wird bald ein Haftbefehl werden.«
Oh Gott! War es nicht schon schlimm genug, von einem Mörder verfolgt zu werden? Jetzt wurde sie auch noch für eine Verbrecherin gehalten, die kaltblütig auf ihren Nachbarn geschossen und sich dann abgesetzt hatte.
»Haben Sie eine Beschreibung der Flüchtigen? Vielleicht sieht einer unserer Zuschauer sie und kann der Polizei einen Tipp geben.«
Jocelyns Kopf schoss in die Höhe. Nein, bitte keine Beschreibung!
»Sie ist mittelgroß und sehr schlank. Dunkelbraune lange Haare, auffällig helle Augen, vermutlich grün, und als besonderes Merkmal hat sie eine lange schmale Narbe auf ihrer linken Wange. Ein Foto habe ich bisher noch nicht auftreiben können, aber die Polizei wird sicher bald eines zur Verfügung stellen.«
Unwillkürlich legte Jocelyn ihre Hand auf ihre Wange. Das war die eine Sache, die sie nicht verändern oder verstecken konnte.
»Vielen Dank für den Bericht über dieses abscheuliche Verbrechen, Saundra.« Ernst blickte die Moderatorin in die Kamera. »Liebe Zuschauer, wenn Sie die beschriebene Person gesehen oder sonst irgendwelche Hinweise haben, wenden Sie sich an uns oder an die Polizei.«
Als eine Telefonnummer eingeblendet wurde, schaltete Jocelyn den Fernseher aus. Sie zitterte am ganzen Körper, während sie gleichzeitig schwitzte. Die Angst nahm ihr den Atem, und sie hatte Mühe, sich unter Kontrolle zu bringen. Sollte sie sich wieder auf den Weg machen? Nein, die Beschreibung war bis auf die Narbe so vage gewesen, dass hoffentlich niemand in Denver sie damit in Verbindung bringen würde – vor allem wenn hier vermutlich nicht besonders viele Leute diesen Regionalsender überhaupt einschalteten. Außerdem kannte Matthew nur diese Adresse, und sie wollte ihn auf keinen Fall verpassen. Mit einem unguten Gefühl entschied sie sich, erst einmal hierzubleiben. Der junge Mann an der Rezeption war dermaßen desinteressiert gewesen, dass er sie wohl kaum anhand der Beschreibung im Fernsehen erkennen würde, und niemand sonst hatte sie gesehen.
Jocelyn stand langsam auf und ging ins Bad, um sich für die Nacht fertigzumachen. Auch wenn sie sicher nicht schlafen können würde, musste sie wenigstens versuchen, sich ein wenig auszuruhen. Der morgige Tag würde vermutlich sehr anstrengend werden, und sie wollte Matthew so wenig wie möglich belasten, wenn er sich schon die Mühe machte, extra hierherzukommen. Glücklicherweise nahm er seinen Job ernst und fühlte sich seinen Schützlingen auch nach der Umsiedlung noch verpflichtet.
Langsam zog sie das Zopfband aus ihren langen Haaren und kämmte die dunklen Strähnen aus. Wenn sie noch einmal eine neue Identität bekam, würde sie auch ihr Äußeres erneut ändern müssen. Was würde es diesmal werden? Schwarz? Hellblond? Aber im Grunde war das egal, solange es ihr dabei half, unentdeckt zu bleiben. Jocelyn legte die Bürste zur Seite und stützte sich mit beiden Händen auf das Waschbecken. Vermutlich würde sie diesmal auch ihre helle Augenfarbe mit dunklen Kontaktlinsen ändern müssen, sie war einfach zu auffällig. Ihr Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Es war eines der wenigen
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