Trügerisches Spiel (German Edition)
um wenigstens etwas Farbe zu bekommen, und deckte die Narbe mit Make-up ab, damit sie nicht so auffiel. Matthew hatte Recht: Sie musste besser auf sich achtgeben. Die Erinnerung daran, wie er sie umarmt hatte, ließ wieder Tränen in ihre Augen steigen. Verdammt, sie musste damit aufhören, wenn sie nicht auffallen wollte.
Jocelyn straffte ihre Schultern, setzte ihre Sonnenbrille und den Rucksack auf, und verließ den Waschraum. Nach einem letzten Blick auf das Telefon eilte sie den Gang entlang und trat in das Restaurant hinaus. Dort verlangsamte sie ihre Schritte und versuchte sich so zu benehmen wie die übrigen Gäste. Sie schlenderte zum Ausgang und verließ das Gebäude. Vor der Tür blieb sie stehen und blickte sich um. Die Straße füllte sich langsam, Autos rauschten an ihr vorbei. Es waren nur wenige Fußgänger unterwegs, und sie wusste, dass sie sofort von hier wegmusste, wenn sie nicht auffallen wollte. Erleichtert sah sie einige hundert Meter entfernt eine Bushaltestelle und setzte sich in Bewegung. Es war ihr egal, wohin die Linie fuhr, solange sie nur von hier fortkam.
Nachdem sie kreuz und quer durch die Stadt gefahren war und zwischendurch bei einem Walmart eingekauft hatte, nahm sie sich ein weiteres Motelzimmer. Bevor sie Denver verlassen konnte, musste sie ihr Äußeres verändern. Die Perücke war zu leicht als solche zu erkennen, und das viel zu weite Kleid verbarg zwar ihre Figur, wirkte aber seltsam. Jocelyn zog alle Vorhänge zu und schaltete dann das Licht an. Im Bad holte sie ihre Einkäufe hervor und blickte sie einen Moment lang nur an, bevor sie die Perücke abnahm und ihre langen Haare ausschüttelte. Sie kämmte sie aus und nahm dann schweren Herzens die gekaufte Schere aus der Tüte. Nach einem tiefen Atemzug schnitt sie die erste Strähne auf Schulterlänge ab. Je mehr Haare sie abschnitt, desto schlechter fühlte sie sich. Bei ihrer ersten Verwandlung hatte sie wenigstens nur die Haarfarbe ändern müssen und die Länge behalten können, doch jetzt musste die Veränderung radikaler ausfallen.
Sie hatte das Gefühl, sich zu verlieren, selbst nicht mehr zu wissen, wer sie eigentlich war. Was waren in ihrem alten Leben ihre Wünsche und Ziele gewesen? Inzwischen konnte sie sich kaum noch daran erinnern. Und das war fast schlimmer als die furchtbare Frisur, die sie sich gerade verpasst hatte. In unregelmäßigen Strähnen hingen ihr die Haare vom Kopf, aber daran konnte sie jetzt nichts ändern. Sie wollte so schnell wie möglich wieder los, aus der Stadt heraus. Mit einer Grimasse zog sie das Haarfärbemittel aus der Tüte. Mausbraun hatte ihre Mutter früher dazu gesagt. Eine Haarfarbe, die ihr keinerlei Aufmerksamkeit einbringen würde. Zusammen mit den Kontaktlinsen in einer ähnlich unscheinbaren Farbe würde sie hoffentlich für niemanden mehr als Jocelyn Callaghan erkennbar sein. Nicht einmal für sich selbst.
4
San Francisco, zwei Tage später
Jay Hunter lehnte sich mit einem zufriedenen Grinsen auf seinem Stuhl zurück, bis nur noch zwei der Stuhlbeine den Boden berührten. Endlich war der Fall gelöst, und er würde heute das erste Mal seit Wochen früher nach Hause gehen können. Gerade hatte er sich mit Vivienne für ein gemeinsames Abendessen mit anschließendem Dessert in seiner Wohnung verabredet. Sein Lächeln verbreiterte sich. Besonders auf den Nachtisch freute er sich schon ungemein, Vi war eine Meisterin ihres Fachs. Bei der Erinnerung daran, wie sie beim letzten Mal die Sahne-Karamell-Creme gierig von seinem Körper geleckt hatte, spannte sich Jays Magen erwartungsvoll an. Oh ja, es würde eindeutig ein denkwürdiger Abend werden. Auch ein Blick auf seinen von Akten, Mappen und Papieren bedeckten Schreibtisch konnte seine Vorfreude nicht dämpfen. Nichts würde ihm diese Nacht verderben können.
Jay träumte immer noch vom Feierabend, als sein Partner sich ihm gegenüber auf die Tischkante setzte. »Du siehst so aus, als hättest du den Jackpot gewonnen.«
Lachend verschränkte Jay die Arme hinter dem Kopf. »Nicht ganz, aber fast.«
»Welche ist es? Pam, Savannah oder Claudia? Nein, warte, die Rothaarige von neulich, oder?«
»Vielleicht solltest du es mal mit Lotto versuchen. Ihr Name ist übrigens Vivienne.«
»Na, dann wünsche ich dir einen interessanten Abend.« Dave schüttelte den Kopf. »Wie machst du das nur?«
»Was?«
»Dir immer die heißesten Bräute zu angeln.«
»Ich sehe sie als Frauen, nicht als Bräute, das ist der Trick.« Jay fuhr
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