Trügerisches Spiel (German Edition)
Gestank nach Tod und das beinahe unbeteiligte Gesicht des Mörders. Genauso hatte er auch vor Gericht ausgesehen, als er ihr direkt in die Augen geblickt hatte. Ein Schauder lief durch ihren Körper, und sie kehrte in die Gegenwart zurück.
Sie wollte Matthew nicht so sehen, aber sie konnte nicht an ihm vorbeigehen, ohne ihn anzublicken. Ihre Knie gaben nach, als sie die Schusswunden in seiner Brust und Stirn sah. Seine Augen standen offen und sie glaubte, darin noch die Verwirrung und den Schmerz zu sehen, die er in seinen letzten Sekunden gefühlt haben musste. Mit zitternden Fingern strich sie über seine Wange.
»Es tut mir so leid, Matthew.« Ihre Tränen liefen über und tropften auf den Teppich. »Danke, dass du für mich da warst.«
Sie wollte ihn nicht so liegen lassen, aber sie musste so schnell wie möglich verschwinden. Wenn sie hierblieb, würde sie verhaftet werden und den Verbrechern damit die Möglichkeit bieten, sie zu finden. Von unterwegs würde sie dann die Polizei auf den Mord aufmerksam machen. Als sie sich vorstellte, wie furchtbar es für Matthews Familie sein musste zu erfahren, dass er ermordet worden war, zog sich ihr Herz schmerzhaft zusammen. Ein letztes Mal berührte sie seine Hand, dann stand sie langsam auf. Mit den Fingern wischte sie die Tränenspuren von ihren Wangen und rückte die Perücke zurecht. Damit niemand ihre geröteten Augen sah, kramte sie ihre Sonnenbrille aus dem Rucksack und setzte sie auf. Am Fenster überzeugte sie sich davon, dass niemand in der Nähe war, der sie sehen würde, wenn sie das Motelzimmer verließ.
Nach einem tiefen Atemzug öffnete sie die Tür und trat in die Sonne hinaus. Ängstlich blickte sie sich um, überzeugt, jeden Moment von dem Mörder entdeckt zu werden. Es war überraschend still draußen, doch dann erinnerte sie sich, dass es Wochenende war und kaum jemand so früh auf den Beinen sein würde. Trotzdem hatte sie das Gefühl, dass sie beobachtet wurde. Ihr Herz klopfte bis zum Hals, nervös wischte sie sich die feuchten Handflächen an ihrem Kleid ab. So unauffällig wie möglich entfernte sie sich von dem Motel und ging, so schnell sie konnte, die Straße hinunter. Als sie halbwegs überzeugt war, allein zu sein, hielt sie auf einen McDonald’s zwei Straßen weiter zu, der bereits geöffnet war. Von dort aus konnte sie telefonieren, und der Verbrecher würde sie dort hoffentlich nicht suchen. Sie brauchte dringend einen Plan, wenn sie überleben wollte. Auf keinen Fall konnte sie noch jemanden hineinziehen, den sie kannte. Wenn die Verbrecher nicht einmal davor zurückschreckten, einen US-Marshal zu töten, war ihnen alles zuzutrauen. Ein Schauder lief über ihren Rücken.
Jocelyn kaufte einen Kaffee und zog sich an einen Tisch in einer Ecke des Raumes zurück, von dem aus sie die Tür im Auge behalten konnte. Nachdem sie sich überzeugt hatte, dass niemand im Raum war, der wie der Mörder aussah, entspannte sie sich ein wenig. Zwar hatte sie ihn nur von hinten gesehen, aber sie war fast sicher, dass es der gleiche gewesen war, der sie in Mitchell töten wollte. Eilig trank sie den Kaffee aus und ging zu den Toiletten. Im Gang davor war ein öffentliches Telefon angebracht, wie sie gehofft hatte. Mit zitternden Fingern holte sie eine Münze heraus und wollte gerade den Hörer in die Hand nehmen, als ihr einfiel, dass die Polizei sicher herausfinden konnte, von wo der Notruf gekommen war, und nach Fingerabdrücken suchen würde. Ihre waren im Verlauf der Ermittlungen des Fahrstuhlmordes genommen worden und sicherlich noch irgendwo gespeichert. Wenn sie sich dann die Videos des McDonald’s geben ließen, wussten sie, wie sie gerade aussah. Nein, so schwer es ihr auch fiel, sie konnte Matthews Mord nicht melden, wenn sie sich nicht in Gefahr bringen wollte. Sicher würde er bald von einem Zimmermädchen gefunden werden.
Mit einem schlechten Gewissen steckte sie die Münze wieder ein und ging weiter zu den Toiletten. Dort wusch sie sich Hände und Gesicht und starrte ihr Spiegelbild an. War das wirklich sie? Sie erkannte sich nicht mehr wieder, und das lag nicht nur an der Perücke und dem unförmigen Kleid. Eine Fremde blickte ihr entgegen, mit geröteten Augen, kalkweißer Haut und hervorstechenden Knochen. Die einzige Farbe bildete ihre Narbe, die in ihrem blassen Gesicht rosa leuchtete. Wenn sie es nicht besser wüsste, würde sie annehmen, dass sie eine schwere Krankheit hatte. Mit den flachen Händen schlug sie auf ihre Wangen,
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