Trügerisches Spiel (German Edition)
die letzte Kraft genommen. Jay schloss das Fenster hinter ihnen und verriegelte es. Anschließend hob er Jocelyn wieder hoch und ging mit ihr zum Sofa. Dort legte er sie vorsichtig ab. »Wenn du hier einen Moment wartest, suche ich einige Sachen zusammen, die wir brauchen werden, und dann bringe ich dich weg.«
Jay ließ sie nur ungern allein, aber es ging nicht anders. Rasch suchte er aus den Haufen, die vor dem Schrank lagen, Kleidung heraus und stopfte sie in eine Reisetasche. Nachdem er noch einige Papiere, Geld und Reservemunition aus seiner Schreibtischschublade dazugeworfen hatte, holte er die beiden Tüten mit den Lebensmitteln in die Wohnung und suchte das heraus, was unverderblich war und sie unterwegs essen konnten. Den Rest schob er mitsamt Tüten in den Kühlschrank. Schließlich kehrte er ins Wohnzimmer zurück. Jocelyn lag noch immer auf dem Sofa, aber immerhin waren ihre Augen inzwischen offen.
»Brauchst du noch etwas?« Stumm schüttelte sie den Kopf. »Okay, dann gehen wir jetzt. Bleib immer dicht bei mir.« Er hielt ihr seine Hand hin und zog sie hoch, als sie ihre eiskalten Finger in seine legte.
Ihr Blick glitt durch das Zimmer, und sie zuckte sichtbar zusammen. »Es tut mir so leid wegen deiner Wohnung. Ich habe sie gehört, wusste aber nicht, wie ich sie aufhalten sollte.« Schuldgefühl stand deutlich in ihr Gesicht geschrieben. »Ich war zu feige, ganz nach unten zu klettern und Hilfe zu holen.«
Jay legte seine Hände um ihr Gesicht und sah ihr tief in die Augen. »Das sind bloß Dinge. Nur eine Sache interessiert mich: dass sie dich nicht gefunden haben und es dir gut geht.«
8
Noch Stunden später musste Jocelyn an die Erleichterung in Jays Blick denken, als er sie auf der Feuertreppe gefunden hatte. Und die Wärme in seinen goldbraunen Augen bei seiner Versicherung, dass nur sie für ihn wichtig war. Nachdem sie wieder die Kontaktlinsen eingesetzt und ihre feuchte Kleidung aus dem Wäschekorb genommen hatte, waren sie aufgebrochen. Es war nicht schwierig gewesen, ungesehen aus dem Haus zu kommen: Im Keller gab es eine Verbindungstür zum Nachbarhaus, das sie dann durch die Hintertür verlassen hatten. In dem Wagen eines Nachbarn, den sich Jay geborgt hatte, waren sie kreuz und quer durch San Francisco gefahren, bis er sich sicher gewesen war, dass sie nicht verfolgt wurden. Schließlich hatte Jay ein Stück außerhalb der Stadt einen Feldweg eingeschlagen, der vor einem beinahe verwunschen wirkenden Haus geendet hatte.
Zum wiederholten Mal schaute Jocelyn aus dem Fenster in die Dunkelheit, bevor sie enttäuscht wieder den Vorhang fallen ließ. Das Haus gehörte Bekannten von Jay. Der Mann, Chris, wirkte, als könnte er mit bloßen Händen Verbrecher ausschalten, während seine Frau Mel das genaue Gegenteil war, klein und zart. Jay war nicht ins Detail gegangen, aber Chris war wohl bis vor einigen Jahren Teil einer militärischen Eliteeinheit gewesen und hatte seitdem nichts verlernt. Es war Jocelyn unangenehm, bei Fremden untergebracht zu werden, die durch sie vielleicht in Gefahr gerieten, aber sie verstand, dass Jay sich um seine Wohnung kümmern musste. Schon allein um Leone, aber auch seinen Vorgesetzten vorzugaukeln, dass er nichts zu verbergen hatte.
Trotzdem wünschte sie, er wäre jetzt bei ihr. Chris und Mel waren sehr nett zu ihr und hatten ihr nicht nur das Gästezimmer angeboten, sondern ihr auch noch etwas zu essen gekocht, aber sie war es leid, immer von Fremden umgeben zu sein, denen sie nichts von sich preisgeben durfte. Jay dagegen wusste, wer sie war, bei ihm konnte sie ihren Schutzschild ein wenig senken. Schlimmer als ihre Einsamkeit war aber der Gedanke, dass er in Gefahr geraten könnte, wenn er sich dort aufhielt, wo die Verbrecher Zugriff auf ihn hatten. Was war, wenn sie ihn in ihre Gewalt brachten, um aus ihm herauszubekommen, wo sie war? Sie wusste, dass er es ihnen nie freiwillig sagen würde, aber es gab sicher Möglichkeiten, ihn zum Reden zu bringen.
Ein Schauder lief durch ihren Körper, und sie schlang ihre Arme um das von Mel geliehene Nachthemd. Ihre eigene Kleidung hatte ihre Gastgeberin freundlicherweise in die Waschmaschine geworfen, damit sie am nächsten Morgen sauber und trocken war, wenn sie aufbrachen. Chris hatte ihr versichert, dass ihr nichts passieren konnte, doch am liebsten wäre sie trotzdem von hier geflohen. Was jedoch ohne Kleidung und vor allem ohne einen fahrbaren Untersatz unmöglich war. Und es wäre auch Jay gegenüber
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