Trümmermörder
Oberinspektor mechanisch, obwohl er den Briten nicht so gut kennt, dass er etwas Derartiges behaupten könnte.
»Versuchen Sie es weiter.«
»Das müssen Sie mir nicht sagen. Ich melde mich, sobald ich ihn aufgetrieben habe.«
Stave zieht sich wieder in sein Büro zurück. Maschke ist aus dem Weg. MacDonald ist unauffindbar. Erna Berg ist mit ihren eigenen Problemen beschäftigt. Ehrlich und Cuddel Breuer stehen nicht bei ihm auf der Schwelle – ein Wochenende ohne Leichenfund gibt ihm eine Atempause, eine Gnadenfrist, bevor die nächsten Nachfragen kommen.
Ich knöpfe mir alles noch einmal vor, denkt der Oberinspektor, ungestört, allein. Ich werde mir die wichtigsten Zeugen noch einmal vornehmen. »Fragen Sie bei der Fahrbereitschaft, ob ich einen der Wagen haben kann«, ruft er seiner Sekrtetärin zu.
»Den ganzen Tag?«
»Den halben. Oder nur zwei Stunden, wenn es sein muss.«
»Wo soll es denn hingehen?«
»Spuren verfolgen«, antwortet Stave bloß.
Eine halbe Stunde später jagt er den alten Mercedes mit pfeifenden Reifen über das Pflaster an der Elbuferstraße. Stave hatte einen Moment lang darüber nachgedacht, ob er sein Kommen telefonisch ankündigen soll, sich dann aber dagegen entschieden. Ein-Mann-Überfallkommando. Vielleicht kann er die Überraschung nutzen. Falls man ihn im Warburg Children’s Health Home abweist, kann er ja immer noch den Dienstweg einschlagen; zur Not mit MacDonalds Hilfe, wann immer der wieder auftaucht. Flüchtig fragt er sich, warum der Lieutenant verschwunden ist und ob Erna Berg möglicherweise doch recht hat.
Vor dem Warburgschen Anwesen muss er anhalten. Das Tor ist verschlossen, niemand ist zu sehen. Der Oberinspektor klingelt. Nach einer endlosen Minute erscheint ein Halbwüchsiger auf der anderen Seite des Tores.
»Sie wünschen?«
Stave greift unbewusst in seine Manteltasche, um den Polizeiausweis zu zücken, doch dann entscheidet er sich dagegen. Er nennt nur seinen Namen, ohne Rang.
»Ich möchte gerne mit Madame DuBois sprechen«, sagt er.
Der Junge verschwindet. Eine Minute. Zwei Minuten. Der Oberinspektor fragt sich schon, ob er die falsche Taktik gewählt hat, als er endlich die schlanke Betreuerin aus der Villa treten sieht. Sie öffnet das Tor und winkt ihm, mit dem Wagen den Weg hinaufzufahren.
»Es tut mir leid, dass Sie den Mörder noch immer nicht gefunden haben«, begrüßt ihn Thérèse DuBois.
»Wieso kommen Sie darauf, dass ich ihn noch nicht verhaftet habe?«
»Warum wären Sie sonst wieder hier?«
Stave folgt ihr in den Wintergarten der Villa und überlegt sich, wie viel er verraten soll.
»Ich bin nicht wegen des Trümmermörders hier«, beginnt er, nachdem er Platz genommen hat.
»Eine andere Ermittlung?«
»Vielleicht. Ich stehe noch am Anfang.«
»Und dafür brauchen Sie meine Unterstützung?«
»Ich brauche die Unterstützung eines kleinen Mädchens.«
Thérèse DuBois lächelt. Triumphierend, denkt Stave.
»Anouk Magaldi. Sie haben mich bei Ihrem ersten Besuch nach ihrem Namen gefragt. Seither wundere ich mich, was Sie damit wohl bezweckt haben. Und frage mich, wann Sie zurückkehren, um mir das zu verraten.«
»Darf ich mit ihr sprechen?«
»Warum?«
»Sie scheint meinen Kollegen zu kennen. Von früher.«
Thérèse DuBois blickt ihn schweigend an.
»Mein Kollege weiß davon nichts«, setzt der Oberinspektor hinzu. Er zögert. »Ich habe gewisse Gründe, mich zu fragen, wer mein Kollege eigentlich ist.«
»Sie glauben, dass er ein Nazi war?«
»Das waren viele. Ich möchte wissen, welche Art Nazi er war.«
»Ob er etwas getan hat, das Staatsanwalt Ehrlich interessieren könnte?«
Stave sieht sie verblüfft an. Nickt dann, fast widerwillig. »Ja.«
»Ich werde die Kleine holen.«
Nach ein paar Minuten steht das Mädchen vor ihm: zierlich für ihr Alter, Arme und Beine dünn wie Bambusrohre, langes, schwarzes Haar, große Augen. Stave reicht ihr zur Begrüßung die Hand, doch sie ignoriert die Geste, blickt ihn nur an. Wachsam, denkt der Oberinspektor, fluchtbereit. »Sprichst du Deutsch?«
Anouk schüttelt den Kopf.
»Ich werde für Sie übersetzen«, sagt Thérèse DuBois.
»Wieso hast du diese Geste gemacht, als du meinen Kollegen angeblickt hast?«, fragt Stave und ahmt ihre Hals-Abschneide-Bewegung nach.
Die Betreuerin hat kaum zwei Worte auf Französisch gesagt, da unterbricht die Kleine sie. Hastige Rede. Sätze, als würde sie beim Laufen sprechen. Gesten: Das Mädchen wirft etwas, sie duckt sich,
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