Trümmermörder
schon einmal eine Erkenntnis.
Es klopft an seine Bürotür: MacDonald.
»Habe die Geschichte der Zeugin Anna von Veckinhausen endgültig festgezurrt«, berichtet der Lieutenant. »Sie hat an dem fraglichen Tag tatsächlich vor dem Garrison Theatre ein Bild an einen britischen Offizier verkauft. Habe das Werk gesehen. Guter deutscher Kitsch. Preis: 520 Reichsmark.« Dann holt der junge Brite tief Luft. »Wo ist übrigens Ihre Sekretärin?«, fragt er. Es soll wohl beiläufig klingen.
»Beim Frauenarzt«, antwortet Stave.
MacDonald massiert seine Schläfen. Zum ersten Mal, seit der Oberinspektor ihn kennt, wirkt er müde. »Ich habe einfach kein Glück bei Frauen«, murmelt er resigniert.
»Frau Berg wirkt auf mich ernsthaft verliebt«, antwortet der Oberinspektor steif, weil er nicht weiß, womit sonst er sein Gegenüber trösten könnte.
MacDonald lächelt. »Ein äußerst unpassender Charakterzug für eine verheiratete Frau. Ich kenne mich damit aus.« Er schweigt.
Stave erwidert nichts, wartet bloß ab, was nun kommen mag.
»Erna ist die zweite Frau in meinem Leben, die mir wirklich etwas bedeutet«, fährt der Offizier irgendwann fort. »Die erste war eine wundervolle, lebenslustige, kluge Dame. Leider verheiratet. Mit einem Regimentskameraden. Sohn eines Lords, Erbe eines schönen Schlosses, eines gewaltigen Vermögens und eines halben Dutzend exquisiter Adelstitel.«
»Klingt nach einem ungleichen Duell.«
»Klingt nach einem Skandal. Besagte Dame hätte sich vielleicht trotz allem irgendwann für mich entschieden. Aber dann kamen erste Gerüchte über unser Verhältnis auf, im Club, im Offizierskasino.«
»Unsichtbare Schranken«, murmelt Stave.
MacDonald lächelt. »Eine adelige Dame und ein schottischer Niemand. Sie wäre gesellschaftlich erledigt gewesen, ich sowieso. Also kehrte sie zu ihrem Gatten zurück. Ganz standesgemäß.« Der Lieutenant wedelt mit der Hand, als verscheuche er ein lästiges Insekt. »Ein guter Grund, an die Front zu gehen, finden Sie nicht?«
»Und ein guter Grund, in dieser Stadt zu bleiben.« Stave lächelt dem Briten zum Abschied zu. »Frau Berg ist definitiv keine Adelige«, sagt er aufmunternd.
Apropos Adelsdamen, denkt Stave: Ich werde mir noch ein paar Zeugen vornehmen. Zum Beispiel Anna von Veckinhausen.
Er nimmt die Straßenbahn bis zur Haltestelle neben der schwarzgebrannten Mauer. Die Straße mit den Laternen. Stave ist früh dran, es ist kaum 15 Uhr. Die Lebensmittelgeschäfte sind längst geschlossen, die Schlangen vor den Türen haben sich aufgelöst. Ein paar Kinder, die vormittags Unterricht gehabt haben, spielen trotz der Kälte auf der Straße. Doch viele Kinder sind noch in der Schule, die Eltern arbeiten oder organisieren Sachen auf dem Schwarzmarkt. Zwischen den Ruinen ist es fast menschenleer.
Die ideale Zeit für den Mörder, fährt es dem Oberinspektor durch den Kopf. Warum denke ich immer an die Abend- oder Nachtstunden? Greift er sich seine Opfer am frühen Nachmittag, dann muss er kaum einen Zeugen fürchten.
Würde das zu Anna von Veckinhausens Version passen? Sie hat die Gestalt erst in der Dämmerung gesehen. Aber da, so vermutet Stave, war der Alte bei der Lappenbergsallee schon tot. Der Mörder zerrt ihn ins Versteck, raubt ihn aus. Das kostet Zeit. Möglich, dass er von der Zeugin gestört wurde, die erst kurz vor Einbruch der Dunkelheit durch die Trümmerlandschaft strich.
Die Nissenhütten an der Kreuzung der freigeräumten Straßen. Niemand zu sehen. Die Baracke fast im Zentrum, in der Anna von Veckinhausen wohnt. Oder präziser: hinter deren Tür sie an jenem Abend verschwunden ist, an dem er sie begleitet hat. Er konnte keinen Blick hineinwerfen. Und nun? Stave weiß nicht einmal, ob seine Zeugin da ist. Vielleicht durchsucht sie irgendwo Ruinen auf der Suche nach Antiquitäten. Egal – er konnte ja schlecht vorher anrufen, um sich anzukündigen, in der Barackensiedlung gibt es kein Telefon.
Der Oberinspektor klopft an die Tür. Es klingt, als hämmere er auf ein leeres Benzinfass ein. Ein alter, zahnloser Mann öffnet ihm so schnell, als habe er hinter der Tür gelauert. Fleckiges Hemd. Der Geruch nach Zwiebeln. Staves Magen knurrt.
Der Oberinspektor nennt seinen Namen, ohne Rang, ohne seinen Ausweis zu zücken. Er möchte Anna von Veckinhausen nicht in eine peinliche Situation bringen, indem er sich als Polizist zu erkennen gibt. Er fragt nach ihr.
»Den Namen habe ich nie gehört«, murmelt der Alte und starrt ihn
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