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Trümmermörder

Trümmermörder

Titel: Trümmermörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Rademacher
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Rundfunk. Britische Offiziere, junge deutsche Journalisten, eine Art BBC für Deutsche. Stave hat davon gehört, hat, wenig interessiert, in den letzten Tagen hin und wieder den Kollegen gelauscht, die schon die Tage abzählten, bis endlich wieder Radio zu hören ist.
    Nun aber, da der Schlaf ihn nicht entführt, lässt er sich beschallen. Wenigstens die Illusion einer zweiten Stimme im Raum. Ein Sprecher. Rauschen, statisches Knacken, manchmal minutenlange Stille und Dunkelheit, wenn der Strom aussetzt. Dann ein Hörspiel. Stave achtet nicht auf den Namen des Verfassers, lauscht auch nur halb den Beschreibungen, den Dialogen, genießt bloß, Geräusche in der Wohnung zu haben, das weiche Licht des Radios, die Rückkehr eines Splitters von Normalität.
    Stave hört von einem Mann, der aus dem Krieg heimkehrt und den niemand haben will. Hört, wie dieser Mann mit der Elbe spricht. Seltsam, denkt er, wie soll man mit der Elbe sprechen, wenn die unter einem Meter Eis verborgen liegt?
    Damit driftet er in einen Traum, in dem sein Sohn mit der Elbe spricht, deren Wellen irgendwie die Züge von Margarethe annehmen. Es ist warm, die Häuser glänzen unzerstört in der Sonne. Stave fühlt sich traurig und beglückt zugleich und gleitet jenseits der Träume in das Reich schwärzester Dunkelheit und schläft so tief wie seit Jahren nicht mehr.

Enttarnung
Montag, 17. Februar 1947
    Seit sieben Uhr morgens bearbeitet Stave im Büro das Telefon. Als die Kuppe des rechten Zeigefingers rot wird, weil er so oft die Wählscheibe dreht, greift er nach einem Bleistift und fingert damit herum. Am Freitag schon hat er versucht, Maschke zu erreichen. Er will ihn unbedingt sprechen, bevor Ehrlich mit ihm reden kann, um ihm seine Version der Geschichte vom abendlichen Treffen im Büro zu servieren. Vergebens. Nirgendwo kann er den Kollegen von der Sitte erreichen, in keinem Hotel, auf keiner Polizeiwache Norddeutschlands, in keinem Krankenhaus. Mehrmals hat er mit Menschen gesprochen, die ihrerseits Maschke empfangen haben, stets wenige Stunden zuvor. Es ist, als würde er mir entkommen wollen, denkt Stave. Absurd.
    Das Wochenende hat er auf dem Bahnhof verbracht – und er hatte dabei viel Zeit zum Nachdenken. Denn je länger sich dieser Winter hinschleppt, desto weniger Kohle wird gefördert. Und immer mehr Lokomotiven bleiben mit geplatzten Leitungen oder vor Frost gesprungenen Kesseln liegen. Nun rattern an einem Tag weniger Züge über die Gleise als früher in einer Stunde.
    Stave ist auf leeren Bahnsteigen auf und ab gegangen, nicht nur, um die Kälte aus seinen Beinen zu treten. Unruhig war er, hatte sich ausgemalt, dass Ehrlich am Wochenende irgendwie mit Maschke reden würde – über ihn. Oder dass der Kollege unangekündigt fürs Wochenende zurückgekehrt sei und sein Büro aufgesucht habe. Stave stellte sich Maschke vor, wie er das scheinbar unordentliche Zimmer betritt, vielleicht nur auf der Suche nach einer Packung Zigaretten. Wie er dann stutzt, als er bemerkt, dass ein Papier nicht so schief auf dem Haufen liegt, wie er es hingelegt hatte. Dann malt er sich aus, wie Maschke den Schreibtisch untersucht, hier und da Störungen im sorgfältig arrangierten Durcheinander entdeckt, dann die unterste rechte Schublade öffnet, die Landkarten durchblättert, bemerkt, dass eine fehlt. Und dann ruft Ehrlich bei ihm an …
    Wenn er nicht an Maschke dachte, dann wirbelten seine Gedanken um den Trümmermörder. Wenn er nun auch hier war am Bahnhof, suchend wie er? Wenn der Mörder gar vor ihm seinen Sohn fände, der müde und abgezehrt aus einem Waggon taumelt? Ein ausgemergelter Kriegsheimkehrer, eine leichte Beute. Ein Schupo würde Stave irgendwann rufen: »Wir haben wieder einen Toten.« Ein Ruinengrundstück. Ein nackter, junger Mann. Stave tritt näher, dann der Schock des Erkennens …
    Der Oberinspektor war durch die riesige Halle geschlichen, unruhig, wütend, ziellos wie ein gefangener Tiger. Als der letzte Zug abends mit asthmatischem Keuchen aus dem Bahnhof schlingerte, war er wie immer müde, durchgefroren, enttäuscht und zugleich auch eine Winzigkeit erleichtert, dass nichts passiert war. Und dass wieder ein Wochenende verstrichen war.
    Plötzlich zuckt Stave zusammen: Das Telefon läutet. Er reißt den Hörer von der Gabel.
    »Maschke hier.«
    Rauschen, Knistern, die Stimme schwankt. Eine Verbindung, als würde der Kollege vom Nordpol aus anrufen.
    »Versuche schon seit einer Stunde, bei Ihnen durchzukommen. Was ist

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