Trümmermörder
denn los? Es ist dauernd besetzt.«
Stave zwingt sich, kein Zeichen von Erleichterung zu verraten.
»Musste ein paar Anrufe tätigen«, antwortet er. »Nichts Wichtiges. Was Neues bei Ihnen?«
Maschke ruft aus Travemünde an. Er schimpft über die Großschieber im Kurhotel: Zimmer mit Meerblick für 500 Reichsmark die Nacht, Frühstück mit echtem Kaffee und Marmelade, abends eine Flasche Whiskey für 800 Mark.
»Das Hotel ist voll«, ruft er über das Rauschen der Leitung hinweg, »als hätte es nie einen Krieg gegeben. Nur das Publikum hat gewechselt.«
»Klingt, als verprassten dort Geschäftsleute ihre Scheine. Ist doch wie früher.« Stave kann sich eine Prise Schadenfreude nicht verkneifen. Der zynische Maschke, der Jäger der Huren und Luden, bleibt doch tief im Innern jemand, der an das Gute im Menschen glaubt.
Oder auch nicht. Der Oberinspektor denkt wieder an die Frankreichkarte mit dem Stempel der Waffen-SS und dem Namen »Hans Herthge«.
Soll ich ihn mitten im Gespräch einfach mit »Herthge« anreden und dann mal hören, wie er reagiert, denkt er, verwirft diese Überlegung aber rasch. Er müsste zu viel erklären danach. Stattdessen rät er Maschke, sich nach Chirurgen umzusehen, die sowohl Eierstock- als auch Leistenbruchoperationen ausgeführt haben. Stave wählt dabei seine Worte sorgfältig. Er bleibt vage, verrät nicht direkt, dass er abends in Maschkes Büro war – dreht es aber doch so, dass er dem Kollegen, sollte der je durch Ehrlich davon erfahren, erwidern kann, das habe er mit ihm doch schon am Telefon besprochen.
Der Beamte von der Sitte schweigt. Wird er misstrauisch? Doch dann kommt die Antwort. »Mache ich«, sagt Maschke.
Trotz des Knisterns in der Leitung kann man die Skepsis in seiner Stimme hören. »Leistenbruch und Eierstock. Bis jetzt habe ich mich von Hamburg aus bis zur Ostseeküste vorgearbeitet. Jetzt fahre ich bis zur dänischen Grenze. Dann quer durchs Land und an der Nordsee wieder abwärts. Wird noch Tage dauern. Ich habe inzwischen schon etwa zwanzig Chirurgen gefunden. Erstaunlich, wie viele Kerle bei Frauen unten rumschnippeln. Aber niemand hat die Dame je gesehen, die wir suchen. Ich habe jeden Arzt, wenn ich schon mal da war, gefragt, ob die Frau wohl Kinder gehabt haben könnte. Alle hielten das für ziemlich unwahrscheinlich.«
»Und die anderen?«
»Ich zeige jedem Arzt jedes verdammte Bild, das unser Fotograf gemacht hat. Der Alte, die junge Frau, das Mädchen – kein Opfer scheint je einen Doktor besucht zu haben. Müssen ziemlich gesunde Leute gewesen sein. Nur ein bisschen Halsschmerzen am Ende.«
»Melden Sie sich jeden zweiten Tag in der Zentrale, auch wenn Sie nichts finden. Seien Sie sorgfältig. Fragen Sie auch nach älteren Medizinern, die jetzt nicht mehr praktizieren. Hören Sie sich lieber einen Tag zu viel um als eine Stunde zu wenig.«
So habe ich Maschke vom Hals, denkt er, als er den Hörer auf die Gabel knallt.
Inzwischen hämmert die Schreibmaschine im Vorzimmer: Erna Berg ist angekommen.
»Wie geht es Ihnen?«, fragt Stave überflüssigerweise. Sie sieht aus, als habe sie seit drei Tagen kein Auge mehr zugemacht.
»Gut«, lügt sie. Das Klacken der Schreibmaschine wird noch lauter.
»Besorgen Sie mir doch bitte einige Hefter für die Ablage. Ich muss noch Akten einsortieren.« Ein Versuchsballon.
Erna Berg nickt nur.
Das Wort »Akten« macht sie nicht nervös. Sie hätte von allen Kollegen die beste Gelegenheit gehabt, die Mordakten verschwinden zu lassen. Aber sie hat kein Motiv. Sie reagiert nicht einmal auf das Wort. Oder sie ist eine sehr gute Schauspielerin. Aber wenn sie das wäre, würde sie dann nicht die Geschichte mit MacDonald und ihrem Mann besser verheimlichen können?
»Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?« Sie blickt zu ihm auf.
Stave merkt, dass er sie angestarrt hat. Er wird rot und schüttelt den Kopf. Dann besinnt er sich. »Doch, rufen Sie MacDonald zu mir.«
Sie zaubert ein schwaches Lächeln herbei. »Das würde ich gerne. Doch der Herr Lieutenant ist verschwunden.«
»Verschwunden?«
»Weg. Unauffindbar. Auch auf seinem Posten kann mir niemand sagen, wo er ist. Ich rufe dort ja häufiger an, nicht nur dienstlich. Manchmal vergehen ein paar Stunden, manchmal dauert es einen Tag. Dann ist James wieder da, spricht mit mir, als wenn nichts gewesen wäre. Ich weiß nicht, was er in diesen Zeiten macht. Vielleicht hat er ja eine andere Frau?«
»Das glaube ich nicht«, antwortet der
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