Trümmermörder
ziemlichen Staub aufwirbeln wird. Er weiß allerdings nicht, dass er beim hastigen Ausplündern der Toten ein paar kleine Gegenstände übersehen hat. Und er ahnt nicht, dass in Hamburg noch eine Überlebende von Oradour wohnt, eine Zeugin, die mich letztlich auf seine Spur gebracht hat.«
»Ist Herthge denn noch immer ahnungslos? Weiß er, dass Sie ihm auf der Spur sind?«
»Leider«, gesteht Stave, »habe ich Maschke alias Herthge in Sachen Trümmermörder auf Reisen geschickt. Er soll bei Ärzten in ganz Norddeutschland Spuren verfolgen. Von seiner Doppelidentität habe ich erst erfahren, als er schon fort war. Er hat sich bis vor etwa vier Wochen in unregelmäßigen Abständen telefonisch in der Zentrale gemeldet und berichtet. Seither aber nicht mehr.«
»Haben Sie die dortigen Dienststellen informiert?«, fragt Ehrlich.
»Diskret. Sie sollen nach Maschke suchen, aber ich habe es so klingen lassen, als machten wir uns Sorgen um ihn. Und nicht so, als würden wir nach ihm fahnden.«
»Diese Zurückhaltung können wir nun aufgeben. Schreiben wir Maschke/Herthge zur Fahndung aus!«
Ehrlich lehnt sich in seinem Stuhl zurück. Er blickt den Kripobeamten zufrieden an.
»Sie hatten ihn schon länger unter Verdacht?«, fragt Stave.
Der Staatsanwalt lächelt. »Weil auch ich seinem Büro einen diskreten Besuch abstatten wollte? In der Tat. Es gab Hinweise: Aussagen von SS-Angehörigen, die – das Schafott oder lebenslänglich Zuchthaus vor Augen – Kameraden auffliegen ließen. In diesen Kreisen hilft man sich ja. Und es spricht sich dann herum, wenn jemand verschwindet oder seine Identität wechselt. Dabei fiel einmal Maschkes Name. Ein Polizeibeamter, ich wurde hellhörig. Doch unter diesem Namen tauchte überhaupt kein SS-Mann je in irgendwelchen Akten auf. Ich ahnte schließlich, dass »Lothar Maschke« eine neue Identität sein muss und dass der Mann vorher unter seinem richtigen Namen in der SS gewesen war. Ich kannte aber weder seinen echten Namen noch seine frühere Funktion. Ich kann es kaum erwarten, Herthge selbst zu diesen Einzelheiten zu befragen. Im Gerichtssaal. Ich stehe tief in Ihrer Schuld.«
»Dann können Sie mir sicherlich zwei Gefallen tun«, erwidert Stave.
Der Staatsanwalt hebt eine Augenbraue. »Welche?«
»Rufen Sie bei Cuddel Breuer an und erklären Sie ihm, wozu ich mir den Mercedes geborgt habe.«
»Geborgt«, wiederholt Ehrlich und lacht. »Ein Euphemismus für einen Autodiebstahl, den der Chef der Kripo sicherlich noch nie aus dem Mund eines Staatsanwalts vernommen hat. Es wird mir ein Vergnügen sein, Ihnen diesen Wunsch zu erfüllen. Und der zweite?«
»Ich möchte wissen, wer die anderen drei Opfer sind. Ich will Namen haben. Ich weiß, dass das eigentlich gleichgültig ist. Tot ist tot. Doch ich fühle mich einfach besser, wenn ich Namen habe. Wenn wenigstens die Namen bleiben.«
Der Staatsanwalt nickt. »Das geht mir genauso.«
Ein kurzes Telefonat und Ehrlich blinzelt Stave, der im Besucherstuhl wartet und mithört, beruhigend zu.
»Ihr Chef wollte nur wissen, ob Sie eine Beule in seinen Mercedes gefahren haben. Und er freut sich auf Ihren Bericht. Die Lösung des Trümmermörderfalles passt zum Ende des Winters, meint er.«
Das nächste Gespräch dauert viel länger. Der Staatsanwalt spricht Französisch, mit schwerem Akzent, wie es Stave vorkommt, doch offenbar fließend. Er nickt immer wieder, macht sich Notizen, zieht manchmal überrascht eine Augenbraue hoch. Dem gefällt nicht, was er hört, denkt der Oberinspektor. Hoffentlich gibt es keinen Ärger. Nicht jetzt.
Endlich legt Ehrlich den Hörer auf die Gabel. Eine sanfte Geste. »Die Dellucs sind Juden«, beginnt er.
»Das wusste ich.«
»Eine Familie, aus deren Reihen bereits mehrere Mitglieder deportiert worden waren. Die anderen hielten sich versteckt. Drei in Paris. Eine Frau in Oradour.«
»Yvonne Delluc.«
»Der Großvater war in Paris untergekommen: René Delluc. Ein Bankier mit Freunden, die ihm auch in harten Zeiten beistanden. Er hat einen Sohn und eine Tochter. Der Sohn wurde deportiert. Die Tochter Georgette versteckte sich bei ihm.«
»Die Frau mit der Operationsnarbe.«
Ehrlich nickt. »Sie ist die Tante des Kindes: Sarah. Und auch von Yvonne. Sarah und Yvonne sind Geschwister, Töchter des deportierten Sohnes.«
»Was führte sie nach Hamburg?«
»Die Sehnsucht nach Palästina, vermutet mein französischer Kollege. Beweisen kann er das nicht. Aber es gibt Indizien. Demnach haben die
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