Trümmermörder
MacDonald eine Packung englischer Zigaretten hervor und bietet sie den beiden anderen an. Stave und Maschke zögern, so als warte jeder auf die Reaktion des anderen. Dann gibt sich der Oberinsepktor einen Ruck und nimmt die Zigarette dankend an. Eigentlich raucht er nicht mehr, doch offenbar hat Maschke abgewartet, ob er, der nun für die Dauer der Ermittlungen sein Vorgesetzter ist, diese Gabe eines ehemaligen Feindes annimmt. Gierig saugt der Polizeiinspektor von der Sitte am Glimmstängel – so gierig, dass MacDonald ihm mit einem halb höflichen, halb ironischen Lächeln noch einen zweiten aufdrängt. »Und was machen wir nun?«, fragt er dann.
Stave blickt ihn erstaunt an.
»Ich bin Soldat, nicht Polizist«, fährt MacDonald fort. »Ich führe Kriege, keine Ermittlungen.«
Maschke hustet so stark, dass ihm bläulicher Qualm aus Mund und Nase quillt.
Stave zwingt sich ein Lächeln ins Gesicht. »Je mehr wir über das Opfer lernen, desto mehr erfahren wir auch über den Täter«, beginnt er. »Denn oft kennen sich Täter und Opfer. Also werden wir versuchen, zunächst mehr über die Identität der Toten herauszufinden. Wir werden die Leiche öffnen.«
»Wir sollen die Leiche öffnen?«, unterbricht ihn MacDonald, nun nicht mehr lächelnd.
»Ein Pathologe wird das tun«, beruhigt ihn Stave und blickt nun seinerseits zum ersten Mal freundlich auf. Sein naiver Schock macht ihm den jungen Briten auf einmal sympathisch. Ein schöner Soldat bist du, denkt er, dass du dich vor Toten fürchtest. »Wir erhalten nur den ärztlichen Bericht. Dann wissen wir vielleicht mehr, etwa über den exakten Zeitpunkt des Todeseintritts. Ich glaube aber nicht, dass uns irgendein Arzt auf dieser Welt noch viel über die Identität der Unbekannten verraten kann.«
»Außer dem Doktor, der ihr den Blinddarm herausoperiert hat«, wirft Maschke ein.
»Ja«, gibt Stave zu. »Das ist ein Ansatz. Wir werden Abzüge vom Polizeifotografen bestellen und die Bilder an die Hamburger Krankenhäuser verteilen. Vielleicht erkennt ja jemand die Frau. Allerdings ist eine Blinddarmoperation Routine, an die sich kaum ein Arzt oder eine Krankenschwester erinnern werden.«
»Zumal ja in den letzten Jahren in den Krankenhäusern viel zu tun war«, ergänzt Maschke. »Und sofern die Krankenhäuser überhaupt noch stehen und die Ärzte noch leben.«
Der Oberinspektor wirft seinem Kollegen einen warnenden Blick zu. Ärgerlich genug, dass sie einen Besatzungsoffizier in der Ermittlergruppe haben. Da muss man den nicht auch noch provozieren.
Doch MacDonald tut so, als habe er nichts bemerkt. »Und wenn uns die Ärzte nicht weiterhelfen können?«, fragt er.
»Wir werden Plakate drucken mit dem Bild der Toten und in der Stadt anschlagen. Auch wenn das ein wenig«, Stave zögert, er sucht nach dem richtigen Wort, »heikel ist«, schließt er lahm.
Als der Brite nur fragend die Augenbraue hebt, erläutert er: »Einerseits müssen wir versuchen, irgendwie an Hinweise aus der Bevölkerung zu kommen. Gut möglich, dass jemand die Tote erkennt, wahrscheinlich sogar. Andererseits will ich die Hamburger nicht gerade mit der Nase darauf stoßen, dass ein Mörder hier sein Unwesen treibt. Das könnte zu Unruhe führen.«
»Deshalb bin ich abkommandiert worden«, sagt MacDonald mit entwaffnender Offenheit. »Auch die britischen Stellen haben großes Interesse daran, die Ermittlungen so schnell und so diskret wie möglich durchzuführen.«
»Verstehe.« Stave hüstelt und drückt seine nur halb gerauchte Zigarette aus, was Maschke, der seine längst bis zu den Fingerkuppen heruntergeraucht hat, mit einem verwunderten Blick quittiert. »Wir haben sonst nicht viele Anhaltspunkte«, gesteht er, »eher einen vagen Anfangsverdacht.«
Befriedigt registriert er, wie der Offizier plötzlich gerader im Stuhl sitzt, aufmerksamer, ja fast angespannt. Maschke hingegen starrt noch immer auf die glimmende Zigarette im Aschenbecher. Der weiß, was jetzt kommt, vermutet Stave.
»Gepflegte Erscheinung, saubere, unverletzte Hände, gute Haut, befriedigender Ernährungszustand – unsere Frau ist keine Arbeiterin. Ich glaube auch nicht, dass sie in den letzten Wochen mit einem Flüchtlingstreck aus dem Osten nach Hamburg gekommen ist, dann wäre sie ausgemergelter. Und ein DP scheint sie mir eher auch nicht zu sein. Deren Körper zeigen oft Spuren der früheren«, wieder suchte er nach dem richtigen Wort, »Entbehrungen.«
»Entbehrungen?«, fragt MacDonald.
Stave seufzt.
Weitere Kostenlose Bücher