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Trümmermörder

Trümmermörder

Titel: Trümmermörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Rademacher
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britisches Schnellgericht: ein englischer Richter, ein Dolmetscher, eine Stenotypistin, ein paar kühle Fragen, ein Urteil, der nächste. 40 Zigaretten aus alliierten Beständen: 21 Tage Haft. Ein Arbeiter, der aus einem Kühlhaus drei als Abfall aussortierte Schweinepfoten hinausschmuggeln wollte: 30 Tage. Plünderer, die in Ruinen herumsuchen, erhalten 50 bis 60 Tage.
    Er beschließt, den Vorwurf der Plünderung zunächst nicht anzusprechen. »Was geschah dann?«
    Die Zeugin lächelt für einen winzigen Augenblick, erleichtert. Dann wird sie ernst und reibt ihre feinen Hände aneinander, als würde sie sie mit Seife waschen. Wie eine Krankenschwester, die sich desinfiziert, schießt es Stave durch den Kopf. Oder wie eine Ärztin.
    »Ich habe zufällig«, sie zögert, sucht nach dem richtigen Wort, »den Körper gesehen. Dann bin ich zur Lappenbergsallee geeilt und habe mich zur nächsten Polizeiwache durchgefragt.«
    »Durchgefragt?«
    »Ja«, Anna von Veckinhausen blickt ihn verwundert an. »Ich habe ein paar Passanten angesprochen, bis ich jemanden getroffen habe, der mir den Weg zur nächsten Wache beschreiben konnte.«
    Stave kann sich immer noch nicht an das neue Selbstbewusstsein der Frauen gewöhnen. Vor einigen Jahren noch wäre es undenkbar gewesen, dass eine Frau – eine Dame zudem – eine Leiche entdeckt und so reagiert wie die Zeugin. Früher hätte eine Frau geschrien oder wäre in Ohnmacht gefallen. Wahrscheinlich liegt es daran, dass Frauen seit dem Krieg die Ernährer der Familien sind: Schwarzmarkt, Hamsterfahrten, schwere Arbeit – Frauen organisieren alles Lebensnotwendige so gut wie Männer. Mindestens so gut. Andererseits zahlen sie dafür einen hohen Preis, nicht nur mit Müdigkeit und körperlicher Abnutzung. Viele Ehen gehen in die Brüche, wenn Männer nach Jahren aus dem Krieg zurückkehren und es nicht ertragen können, dass ihre Frauen in der neuen Welt der Trümmer und illegalen Märkte besser zurechtkommen als sie. Stave starrt wieder unauffällig auf die Hände von Anna von Veckinhausen: kein Ehering.
    »Das war das 22. Polizeirevier«, sagt Stave. »Da Sie es nicht kennen, nehme ich an, dass Sie nicht hier in der Nähe wohnen.«
    Die Zeugin zögert kurz. »Nein«, gesteht sie, »ich wohne in einer der Nissenhütten am Eilbekkanal.«
    Stave notiert sich die Adresse. Eine Plünderin, vermutet er, die sich in einem neuen Revier umgesehen hat. Aber er sagt nichts. Anna von Veckinhausen imponiert ihm, schüchtert ihn sogar ein wenig ein. Diese Selbstsicherheit. Sie stammt aus einer anderen Welt. Ein Hauch von Dialekt in ihrer Stimme, aber woher? Nicht aus Hamburg oder dem Norden. Vielleicht irgendwo aus dem Osten? »Sie haben also die Leiche gesehen und sind zur Lappenbergsallee gerannt, bis Sie die Wache erreichten? Gibt es dafür Zeugen?«
    Sie blickt ihn verwirrt an und schweigt.
    »Die Menschen, die Sie auf der Lappenbergsallee nach dem Weg gefragt haben – wissen Sie, wer die gewesen sind? Haben Sie deren Namen notiert?«
    »Was soll das?, « fragt sie empört. Ihre Stimme ist noch immer leise. »Verdächtigen Sie mich?«
    Stave lächelt, obwohl er selbst weiß, wie falsch diese Grimasse in diesem Augenblick wirkt. »Reine Routine«, erklärt er.
    Sie wirft den Kopf zurück und blickt ihm in die Augen. Herausfordernd. »Verhüllte Gestalten. Männer mit Hut und hochgeschlagenem Mantelkragen, Frauen mit Tüchern und Mützen. Alle in Eile bei der Kälte. Ich habe mir keine Namen notiert, und die Gesichter könnte ich auch nicht beschreiben.«
    Stave macht sich wieder eine Notiz. »Und zuvor? Als Sie die Leiche fanden: Haben Sie sie angerührt?«
    »Sie stellen wirklich erstaunliche Fragen. Ich sehe einen nackten Toten, was soll ich da anrühren?«
    »Aber Sie wussten sofort, dass er tot ist?«
    »Ich habe schon ein paar Tote im Schnee liegen sehen, wenn es das ist, was Sie meinen. Ich war mir sofort sicher, wie es um ihn stand.«
    Stave verzichtet darauf, sie zu fragen, wann und wo sie Tote gesehen hat. »Wissen Sie, woran er gestorben ist?«
    Anna von Veckinhausen schüttelt den Kopf. »Nein. Woran?«
    Der Oberinspektor ignoriert ihre Frage, macht sich wieder eine Notiz. Seine Finger sind inzwischen wie Eiszapfen. Umständlich schreibt er Worte auf, kaum leserlich. Er ist sich bewusst, dass seine langsamen Notizen die Zeugin nervös machen. Sollen sie auch, denkt er. »Haben Sie sonst noch etwas bemerkt? Etwas bei der Leiche? Lag dort vielleicht ein Gegenstand?«
    Sie

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