Trümmermörder
zehn Meter hohen Ziegel- und Schutthaufen, aus denen Abwasser- und Regenrohre, Kabelknäuel und zersplitterte Dachbalken ragen; Trampelpfade führen ohne erkennbares System durch die Trümmer. Die nächsten noch einigermaßen intakten Häuser stehen, schätzt Stave, mindestens 150 Meter entfernt.
Ein Jeep bremst mit quietschenden Reifen und stoppt so dicht hinter dem Mercedes, dass Stave einen Moment lang fürchtet, er würde ihn rammen. MacDonald steigt aus und grüßt mit einem Nicken, nicht mit dem militärischen Mützengruß, wie der Oberinspektor erleichtert feststellt.
»Waren Sie schon einmal am Fundort einer Leiche, Herr Lieutenant?«, fragt er. Er möchte den Briten lieber schonend auf den Anblick eines Mordopfers vorbereiten, damit ihm der nicht gleich aus den Stiefeln kippt.
Doch MacDonald bleibt gelassen. »Wie man es nimmt: Ja, weil ich im Krieg Tote geborgen habe. Nein, weil wir Soldaten das damals sicherlich anders gemacht haben, als Sie Polizisten das tun.«
Stave lächelt dünn und deutet auf eine Glocke aus Licht, die zwischen den Trümmerbergen erstrahlt: zwei mobile Scheinwerfer, gespeist von einem Dieselgenerator, dessen Brummen bis zu ihnen schallt. »Dort wird es sein, schätze ich.«
Sie folgen von der Lappenbergsallee aus einem Trampelpfad, der sich um einen hohen Schuttberg windet. Schon nach zehn Schritten ist der Pfad von der Straße aus nicht mehr einsehbar. Noch ein paar Trümmerhügel. Dann ein eisgefüllter Bombenkrater, vielleicht anderthalb Meter tief. Darin ein zerbeultes Benzinfass.
Und daneben der Tote.
Zwei Schupos stehen im flackernden Licht der Scheinwerfer, ein dritter beugt sich über den Generator. Der Fotograf baut seine Ausrüstung auf. Maschke schlendert ein paar Schritte entfernt von ihm auf und ab, rauchend. Doktor Czrisini streift seine wildledernen Handschuhe von den Fingern und zwängt sich stattdessen in Gummihandschuhe mit hohen Stulpen.
»Ein Lustmord war das wohl nicht«, sagt der Pathologe zur Begrüßung und deutet auf die Leiche.
»Wenn ich mal nicht mehr mag, dann schlage ich Sie für meinen Posten vor«, brummt Stave.
»Wir können tauschen«, erwidert Czrisini fröhlich.
Sie beugen sich über den Toten: ein nackter Mann, fünfundsechzig bis siebzig Jahre alt, schätzt Stave. Nicht sehr groß, vielleicht 1,60 Meter. Schlank, doch nicht unterernährt. Keine Arbeitshände. Das Opfer liegt auf dem Rücken, der Körper wie entspannt, die Füße eng beieinander, die linke Hand neben dem Rumpf, halb geöffnet, die rechte verborgen unter dem Gesäß. Der Körper ist gefroren und leicht verschneit, als läge Puderzucker auf dem Toten, die weiße Haut darunter zeigt mehrere Totenflecken.
Der Pathologe deutet stumm auf den Kopf: Grauer, buschiger Bart, krumme, ziemlich große Nase. Die Augen geschlossen. Als Stave sich tiefer zum Opfer hinabbeugt, erkennt er, dass sie zugequollen sind, wie nach Schlägen.
»Blut an beiden Ohren«, sagt Doktor Czrisini nüchtern, »kleine Wunde an der linken Kinnspitze, Stirn und Augen verschwollen von Prellungen. Der Mann ist verprügelt worden, mit der Faust oder einem stumpfen Gegenstand.«
»Tödliche Verletzungen?«
Der Pathologe schüttelt den Kopf. »Sicher weiß ich das natürlich erst nach der Leichenöffnung, aber ich vermute, dass die Schläge ihn bloß geschwächt haben. Vielleicht ist er zu Boden gegangen, hat möglicherweise das Bewusstsein verloren.« Er deutet auf die linke Hand des Toten. »Schürfwunden. Scheint sich gewehrt zu haben, zunächst zumindest. Dann aber hat er keine Chance mehr gehabt. Sehen Sie die feine Drosselungsmarke am Hals? Er ist erstickt worden, mit einer Drahtschlinge vermutlich.«
Stave schließt kurz die Augen. »Der Mann wurde von vorne oder von der Seite angegriffen, er wurde mit heftigen Schlägen gegen das Gesicht und gegen den Kopf niedergestreckt und dann, als er sich nicht mehr wehrte, erdrosselt. Womöglich war er da schon bewusstlos.«
Crzisini deutet auf einen unterarmlangen, vierkantigen Eisenstab, der neben dem Kopf des Opfers im Dreck liegt. »Die Verfärbung am Eisen, schätze ich, ist Blut.«
»Die Waffe, mit der man den Mann niedergeschlagen hat?«
»Vielleicht. Kann aber auch sein, dass der Stab schon dort lag und Blut erst darauf gespritzt ist, als der Mann direkt daneben stürzte.«
Stave wünscht sich, dass es noch Tag wäre. Das flackernde Licht lässt seine Augen schmerzen, überall scheinen Schatten durch die Ruinen zu tanzen, sein Kopf dröhnt vom
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