Trümmermörder
schüttelt den Kopf. Auch ihr ist elend kalt, vermutet Stave.
»Und unmittelbar davor? Als Sie noch nicht wussten, was Sie in den Ruinen erwarten würde: Gab es etwas Verdächtiges, das Sie auf dem Trampelpfad gesehen haben? Vielleicht eine Person? Oder haben Sie ein Geräusch gehört?«
»Nein, gar nichts.«
Eine schnelle Antwort. Zu schnell. Plötzlich ist Stave sich sicher, dass sie ihm etwas verheimlicht. Soll er sie zur Zentrale mitnehmen und intensiv verhören? Ihr vielleicht drohen, sie als Plünderin anzuzeigen? Er zögert. Meistens, das ist seine Erfahrung, reden Zeugen doch von alleine. Man muss ihnen nur etwas Zeit geben, dann erscheinen sie bei der Kripo und ergänzen ihre Aussage. Und falls Anna von Veckinhausen nicht zu dieser Art Zeugen gehört, dann kann er sie ja jederzeit noch einmal befragen. Sie wiedersehen.
Das fehlt dir gerade noch, dass du dich verguckst, denkt Stave und hakt diese Überlegung schnell ab. »Sie können gehen«, sagt er. Er gibt Anna von Veckinhausen einen Zettel, auf den er seine Telefonnummer gekritzelt hat. »Falls Ihnen noch etwas einfällt, dann rufen Sie mich bitte an.«
»Danke«, erwidert sie und faltet den Zettel sorgsam zusammen, bevor sie ihn in der Manteltasche verschwinden lässt. Sie sieht plötzlich erschöpft aus.
Früher hätte Stave einen Streifenwagen herbeigeordert, um die Zeugin nach Hause fahren zu lassen. Aber nicht jetzt, mit den wenigen Autos und dem rationierten Benzin. »Auf Wiedersehen«, sagt er nur. Es soll freundlich sein, aber irgendwie rutscht es ihm so heraus, dass es wie eine Drohung klingt.
»Warum lassen Sie die Frau laufen?«, fragt Maschke, als Anna von Veckinhausen hinter einem Schuttberg verschwunden ist. Er und MacDonald sind wieder zu Stave getreten, der die beiden kurz über die Aussage der Zeugin informiert.
»Wir haben doch keine Verdachtsmomente«, rechtfertigt sich der Oberinspektor.
»Sie war beim zweiten Mord in der Nähe«, erwidert Maschke. »Und sie wohnt in den Nissenhütten am Eilbekkanal – das ist nicht allzu weit vom Fundort der ersten Leiche entfernt.«
Stave seufzt. Das ist ihm auch schon aufgefallen, doch wollte er es nicht ansprechen. »Beim ersten Mord ist sie eine von Tausenden, die im erweiterten Umkreis wohnen. Und heute hat sie selbst die Polizei gerufen.«
»Und außerdem kann ich sie mir kaum als jemanden vorstellen, der anderen Leuten Drahtschlingen um den Hals wirft«, mischt sich MacDonald ein.
»Ich schon«, murmelt Maschke.
»Lassen wir die Kollegen hier alles aufräumen«, ordnet Stave müde an. »Czrisini wird die Leiche haben wollen. Fahren wir zur Zentrale und überlegen wir, was sich für uns geändert hat.«
»Nicht so hastig, meine Herren. Geben Sie mir fünf Minuten.«
Cuddel Breuer, die massige Gestalt im langen, dunklen Mantel, mit Schlapphut, schwarzen Lederhandschuhen. Stave hat ihn nicht gehört, als er nähergetreten ist.
»Entschuldigen Sie, dass ich nicht eher erscheinen konnte«, fährt ihr Chef fort, »aber ich hatte noch einen Termin beim Bürgermeister. Verdammte Kälte«, murmelt er, obwohl er nicht so aussieht, als ob er fröre.
»Ich lasse den Fundort bewachen«, erklärt Stave, nachdem er knapp Bericht erstattet hat. »Ein Schupo muss hierbleiben. Ich hoffe, er wird nicht erfrieren. Morgen werden wir alles noch einmal absuchen, sobald es hell genug ist.«
Der Chef nickt, dann blickt er die drei Ermittler an. »Was denken Sie? War es derselbe Täter?«
Stave hat die Frage gefürchtet und überlegt sich seine Antwort sorgfältig. »Wir ermitteln weiterhin in alle Richtungen«, beginnt er. »Manche Indizien deuten auf den gleichen Täter – oder die Täter, denn auch das will niemand ausschließen. Andere Spuren passen nicht so gut zu dem ersten Mord.«
»Was werden Sie unternehmen?«
»Die Identität des Opfers herausfinden. Vermisstenmeldungen durchkämmen, wenn es sein muss, ein Plakat herausgeben. Diesmal haben wir immerhin neben dem Foto des Opfers auch den Spazierstock. Wir haben das Medaillon. Und wir werden Zahnärzte fragen, der Mann trug eine Prothese.«
Breuer starrt ihn schweigend an.
»Es kann nicht sein, dass in einer Stadt wie Hamburg zwei Menschen getötet werden, die von niemandem vermisst werden«, verteidigt sich Stave. »Wenn es eine Verbindung vom Täter zu seinen Opfern gibt, dann wird uns das weiterhelfen.«
»Und falls das nicht der Fall sein sollte?«
»Dann wird es schwierig«, gesteht der Oberinspektor. »Wenn wir es tatsächlich
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