Trugschluss
»Da
versucht ein ganz anderer, die Brummton-Szene einzuschüchtern, ohne gleich ein
Blutbad anzurichten. Einfach Psychoterror. Bei der Lilo Neumann hat das ja
beinahe geklappt. Der Steinbach aus Blaubeuren war ein Opfer, der Sander
ebenso. Wenn wir Blühms Ehefrau glauben – und nichts spricht dagegen -, dann
wurde auch ihr Mann attackiert, und zwar ziemlich heftig. Weshalb er aber erst
Anzeige erstattet hat, als sein Auto demoliert war, gibt natürlich wieder Rätsel
auf.«
Häberle holte tief Luft, als müsse er eine
schwere Last wegräumen. »Dieses Verhalten passt aber zu dieser Variante. Er ist
in eine Sache involviert, die er nicht publik machen will, warum auch immer.
Selbst seiner Frau hat er davon offenbar nichts erzählt. Vielleicht um sie zu
schützen, vielleicht aber auch, weil ihm dieses Verhältnis zu ihr gar nicht
mehr so wichtig ist. Sie selbst hat sich dazu ja auch nicht konkret geäußert.
Also«, der Kommissar schaute seine ratlosen Kollegen an, die ihm interessiert
folgten, »also beschließt er, spurlos zu verschwinden. Denn die Gefahren wurden
größer. Zuerst das Auto demoliert, dann gestohlen. Drohanrufe und
Schriftstücke. Er beseitigt in seinem privaten Büro alle Spuren so gut es geht.
Was er nicht bedenkt, sind die Telefongespräche, die wir inzwischen
nachvollziehen konnten.«
Linkohr nickte verständnisvoll. Häberle
kratzte sich im Haar und fuhr in seinem Gedankengang fort: »Blühm verschwindet
nicht einfach so sang- und klanglos. Er bereitet es natürlich vor. Ein bisschen
spektakulär soll’s sein, damit man nicht meinen könnte, es sei einer dieser
üblichen Null-acht-fuffzehn-Vermisstenfälle. Beziehungsdrama oder so. Nein, ein
Blühm tut so, als werde er angerufen, verlässt den Sitzungssaal im Kreistag –
und schwupp – weg ist er.«
»Klingt einigermaßen plausibel«, räumte
der kritische Linkohr ein, »nur erklärt das die Sache mit dem Auto nicht.«
»Oh doch«, erwiderte Häberle, »sehr wohl.
Als bekannt wurde, dass Blühm verschwunden ist, was ja die lokalen
Rundfunkstationen am Samstagabend gemeldet haben, kam der große Augenblick des
wirklichen Täters. Um Blühm vollends ganz auszuschalten, wurde sein Auto just
dorthin gebracht, wo sich für uns sofort ein Zusammenhang mit dieser Leiche von
damals aufdrängen musste – nach Hohenstadt.«
»Und die Kennzeichen-Schilder und den
Kanister-Verschluss von damals hatte der Täter noch dabei? Und so sorgfältig
verwahrt, dass noch DNA dran war.« In Linkohrs Stimme schwangen deutliche
Zweifel mit.
»So muss es gewesen sein«, meinte Häberle,
wohl wissend, dass auch diese These auf schwachen Beinen stand. »Denn
angenommen, wir haben’s hier tatsächlich nicht mit einem normalen Kriminalfall
zu tun, sondern mit einem tiefgreifenden Hintergrund, wovon ich seit gestern
beinahe überzeugt bin«, er spielte auf das Gespräch mit Bruhn an, von dem
Schmidt allerdings nichts wusste, »dann halte ich es für durchaus denkbar, dass
Beweismittel dieser Art aufgehoben werden, um sie bei passender Gelegenheit
einem anderen unterzujubeln.« Häberle lächelte vielsagend. »Wir sollten nicht
glauben, wir hier in der Provinz könnten’s niemals mit solchen Methoden zu tun
kriegen. Je weiter ein Fall nach oben spielt, desto stärker und mächtiger sind
die Mittel, die uns entgegenstehen. Sie dürfen mir das glauben. Während meiner
Stuttgarter Zeit beim Landeskriminalamt bin ich zwar nicht oft, aber dennoch
manchmal spürbar an gewisse Grenzen gestoßen.«
Schmidt hielt bei diesen Worten mit dem
Bartzwirbeln inne. »Wir leben in einem Rechtsstaat«, stellte er emotionslos
fest.
»Den will ich nicht in Frage stellen«,
betonte Häberle mit fester Stimme. »Aber glauben Sie mir, wenn’s politisch
wird, läuft manches nicht so hasenrein ab, wie es sollte. Aber was jammern wir?
Schauen Sie nach Amerika rüber – ich brauch Ihnen da nichts weiter zu sagen.«
Die beiden Kriminalisten schwiegen. Doch
sprach Linkohr wieder den Kernpunkt des Problems an: »Und das Taschentuch bei
dieser Lilo im Wohnzimmer? Auch da war DNA des Toten dran.«
»Das ist mir bekannt«, erklärte der
Kommissar. »Das hat dieser Maskierte verloren, wie es aussieht. Ist ihm aus
seiner Motorradkluft gerutscht. Klar. Dieser Einbrecher ist derselbe, der vor
knapp vier Jahren der Täter war – und der jetzt Blühms Auto da raufgestellt
hat. Diese Beweiskette ist schlüssig. Wahrscheinlich hat er bei der ersten Tat
in Hohenstadt droben bereits diese
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