Trugschluss
griff zu dem kabellosen Teil und
meldete sich. Nachdem er den Namen des Anrufers gehört hatte, ließ er sich in
einen der Sessel sinken.
»Sie?«, staunte er, »das ist aber eine
Überraschung. Wir haben ja schon ewig nichts mehr voneinander gehört.«
Er lauschte den Worten im Hörer und
verengte schließlich die Augenbrauen. Sein Blick ging dabei zur vernebelten
Spitze des San Salvatore hinüber.
»Ich weiß es«, sagte der junge Mann, »die
Kripo aus Geislingen hat mich angerufen.« Dann hörte er seinem Anrufer wieder
zu und brachte mehrfach mit nachdenklichem »mhm« zum Ausdruck, dass er
verstand.
»Ich denke, es geht ihm gut«, sagte er
schließlich, »aber wir sollten uns da nicht unbedingt einmischen.«
Sein Gesprächspartner antwortete erneute
wortreich und er hörte weiterhin aufmerksam zu, kniff zwischendurch die Augen
zusammen und nickte.
»Das scheint mir auch so«, antwortete er
nach einigen Minuten, »aber ich denke, er ist sich dessen bewusst.«
Nach fast 20 Minuten war das Gespräch
beendet. Dieser ehemalige Theologe, dachte Jens, dieser Brobeil, hatte sich
offenbar in die Materie hineingearbeitet und wusste tatsächlich mehr, als ein
Außenstehender eigentlich hätte wissen dürfen. In all den Jahren war anscheinend
vieles nach außen gedrungen – vor allem aber hatten diese vielen
Interessengemeinschaften, die sich um das Brummton-Phänomen kümmerten, überall
ihre Hände im Spiel. Vermutlich war es ihnen gelungen, viele undichte Quellen
anzuzapfen und Informationen zusammenzutragen, die aus Halbwahrheiten,
Spekulationen und dubiosen Theorien bestanden. Ganz sicher aber stellten sie
eine Gefahr dar. Vollmer beschloss, sobald wie möglich auszusteigen.
Spätestens, wenn ›Projekt Echo‹ abgeschlossen sein würde. Vermutlich Mitte
März. Das war ohnehin nur noch ein Vierteljahr.
Häberle hatte den ersten Schock überwunden.
Schmidt blieb ungerührt an der Wand
lehnen.
»Das bringt den Blühm ganz schön in
Verdacht.«
»Oder jemand hat’s drauf angelegt, ihn auf
diese Weise auszuschalten«, resümierte Linkohr eifrig, »allerdings drängt sich
sofort die Frage auf, woher hat ein solcher Unbekannter dann all diese
DNA-Spuren? Die müssen doch alle fast vier Jahre alt sein.« Der junge
Kriminalist fügte erklärend hinzu: »So lange ist der Knabe doch schon tot.«
Keiner wollte widersprechen. Der
schnurrbärtige Schmidt griff sich einen Stuhl und setzte sich zu Linkohr an den
Besprechungstisch.
»Kollegen, dafür muss es eine vernünftige
Erklärung geben«, ergriff Häberle das Wort und hatte im Hinterkopf Bruhns
Hinweise, auf dem Boden der Realität zu bleiben. Er hatte auch nichts anderes
vor. »Spielen wir die Sache doch mal logisch durch.« Der Kommissar stützte sich
mit den Unterarmen auf der mit Akten beladenen Schreibtischplatte ab. »Es gibt
zwei Varianten. Entweder dieser Blühm ist ein kaltblütiger Mörder, hat – wie
auch immer – vor vier Jahren in Hohenstadt diesen Unbekannten umgebracht und
verbrannt, ist bei dieser Lilo Neumann eingestiegen und hat nun, weil ihm der
Boden zu heiß geworden ist, Hals über Kopf das Weite gesucht. Weshalb er sein
Auto in Hohenstadt abstellt, mit allen Beweismitteln drin von damals, dazu noch
ein Kanisterverschluss, an dem – oh Wunder – auch noch Hautpartikel des Toten
dran sind, das zu erklären, dürfte auch dem Staatsanwalt schwer fallen. Okay,
kann ja so sein. Es gibt verrückte Täter, das wissen wir alle. Nur haben wir
ein weiteres Problem: Wir kennen kein Motiv.« Häberle überlegte. »Aber
vielleicht lässt sich auch dieses finden. Die Person Blühm gibt ohnehin noch
viele Rätsel auf. Sehr viele sogar: Seine seltsame Forscherei, seine Kontakte
nach überallhin, vor allem aber zu diesen Brummton-Fritzen.«
Linkohr machte ein zweifelndes Gesicht. »Klingt
ziemlich mager, finde ich.«
»Sicher dürfte aber sein«, dozierte
Häberle weiter, »dass dieser Blühm nicht nur Kommunalpolitiker ist, sondern für
irgendjemand ein unangenehmer Zeitgenosse, weil er forscht und experimentiert,
was weiß ich, und weil er seine Nase in Dinge steckt, die ihn nichts angehen,
in …« Häberle rang nach einem passenden Wort, »… ja, sagen wir’s ruhig, in
vielleicht weltbewegende Dinge oder was auch sonst – auf jeden Fall aber ist es
denkbar, dass ihn jemand loswerden will.«
»Also hat jemand anderes die Finger im
Spiel«, stellte Schmidt fest und zwirbelte an seinem Schnurrbart.
Der Kommissar nickte zustimmend.
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