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Trugschluss

Trugschluss

Titel: Trugschluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Bomm
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Ihre Gipfel
waren teilweise in tiefhängende Wolken gehüllt. Doch die Sonne verschaffte sich
zunehmend Platz.
    Das Wohnmobil rollte in diesem schmaler
werdenden Tal dem hinteren Rhein entgegen, der beim San-Bernardino-Pass
entspringt.
    Als links einige Hochhäuser aus der
Tal-Ebene ragten und vor der Kulisse der Berge irgendwie deplatziert wirkten,
hatten die Häberles Chur erreicht. Die Straße stieg weiter an und führte, als
hinter Thusis eine Ausfahrt zur berühmten Via Mala-Schlucht wies, an
betonierten Verbauungen vorbei. Der Turbo des Wohnmobils hatte keine Mühe, die
Steigungen zu überwinden. Als Susanne wach wurde, plauderten die Häberles über
frühere Zeiten, als sie jährlich zweimal diesen Alpenübergang benutzt hatten,
der einstens, als es noch keine Vignette gab, einer der wenigen war, die nichts
kosteten.
    Nach der Abzweigung zum Splügenpass
präsentierte sich die Landschaft, durch die sich der Hinterrhein seinen Weg
gebahnt hatte, wild romantisch. Jetzt lag der sogenannte Alpenhauptkamm vor
ihnen, der höchste Straßenpunkt, der mit 1600 Metern hier auf dem Weg in den
gemäßigten Süden zu überwinden war: Der San-Bernardino-Pass, wo ein 6594 Meter
langer Tunnel in das Alpenmassiv getrieben ist. Je höher sie kamen, desto mehr
fühlten sie sich in den Winter zurückversetzt. Hier oben wirkte die Landschaft
nordisch-rau, noch lagen Schneefelder bis dicht an die Straße heran.
    Sie liebten diese Stimmung, weil sie
wussten, dass sie jenseits des Tunnels geradewegs dem Frühling entgegenfahren
würden – heute aber auch der Ungewissheit eines Vorhabens, das Häberles
Privatangelegenheit war. Er hatte auf der Fahrt hierher ungewöhnlich wenig
gesprochen. Susanne wusste, dass ihn der Fall beschäftigte und geradezu
zermürbte. Er war Kriminalist mit Leib und Seele und konnte es nicht verstehen,
dass es da etwas gab, das sich irgendwie am Rande der Legalität und womöglich
staatlich geduldet abspielte. Sein Gerechtigkeitssinn war viel zu sehr
ausgeprägt, als dass er es hinnehmen konnte, einfach zurückgepfiffen zu werden.
Er fühlte sich Recht und Ordnung verpflichtet, der Wahrheit und der
Gerechtigkeit – und nicht irgendwelchen parteipolitischen Machtkämpfen oder gar
militärstrategischen Experimenten. Wenn Menschen ums Leben kamen oder zumindest
die Gesundheit von Tausenden fahrlässig aufs Spiel gesetzt wurde, dann durfte
dies nicht einfach unter den Tisch gekehrt werden.
    Er lächelte seiner Frau zu, als die
ringsum verschneite Tunneleinfahrt in Sichtweite kam. Sie wusste: Auf dem
Parkplatz davor wurde traditionell eine Pause eingelegt. Das war schon immer so
gewesen. Und jetzt schien sogar die Sonne.
    Die beiden zwängten sich zwischen den
Vordersitzen nach hinten in den Wohnraum, wo sich Häberle auf die gepolsterte
Sitzbank entgegen der Fahrtrichtung niederließ. Seine Frau saß ihm gegenüber
und konnte von dieser Position aus den Kühlschrank öffnen, aus dem sie Wurst
und Käse sowie eine Flasche Apfelsaftschorle reichte. Häberle holte
anschließend aus einem darüber angebrachten Hängeschrank einen Laib Brot sowie
Plastik-Trinkbecher und aus einer Schublade das Besteck.
    Sie liebten es, so zu rasten. Seit ihrer
Jugendzeit, als sie noch ziemlich spartanisch mit einem selbst ausgebauten
VW-Bus unterwegs waren, hatten sie auf diese Weise ganz Europa bereist.
    Der Kriminalist belegte sich gerade eine
Scheibe Brot mit Salami, als er seinen Blick eher beiläufig über den großen
Parkplatz streifen ließ. Einige weitere Wohnmobile waren dort abgestellt, auch
ein halbes Dutzend Lastzüge. Die wenigen Menschen, die sich in die Kälte
hinausgewagt hatten, wirkten ziemlich fröstelnd. Sie waren auf der Fahrt in den
Süden auf mediterranes Klima eingestellt – und nicht auf Schnee. Hier oben
aber, das wussten die Häberles, dauerte der Winter lang.
    »Was hast du denn?«, fragte Susanne, als
ihr Mann offenbar etwas erspäht hatte, das ihn nicht mehr los ließ. Er schob
den Vorhang ein Stück weit zur Seite und drehte den Kopf noch dichter zur
Scheibe.
    »Ist da was?«, zeigte sich seine Frau
besorgt und drehte sich auch zum Fenster. Doch sie konnte nichts Ungewöhnliches
entdecken.
    »Ich werd verrückt«, sagte August und
drückte nun die Stirn ganz gegen das Plexiglas, um weit hinter das Wohnmobil
blicken zu können. »Den kenn ich doch …« Häberles Stimme klang irgendwie
besorgt, aber auch zweifelnd und staunend.
     
    Der Lokaljournalist Georg Sander hatte seit Wochen nichts mehr

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