Trugschluss
schlummern sah.
Nach einer rund hundert Meter langen
Unterführung hob sich die Straße zur Donau-Brücke, über die es, vorbei an
Schallschutzwänden, bereits in die freie Landschaft hinausging. Häberle blieb
auf dieser wieder als Autobahn ausgewiesenen Schnellstraße, um über Senden das
Autobahndreieck Hittistetten anzusteuern – und von dort auf der A 7 weiter
südwärts, den Alpen entgegen.
Er erkannte bald, dass es viel zu stressig
sein würde, auf der linken Spur zu fahren und dem schnelleren nachfolgenden
Verkehr jedes Mal Platz machen zu müssen. Er reihte sich deshalb in die
Lkw-Kolonne ein. Das war irgendwie geruhsamer. Die Raststätte ›Illertal‹ mit
ihrer märchenhaften Architektur zog auf der linken Seite vorbei, wenig später
erreichte er Memmingen, wo er die Ausfahrtspur in Richtung Lindau nahm. Das
Wetter wurde freundlicher, vereinzelt ließ sich sogar blauer Himmel sehen.
Dieser Streckenabschnitt führte an
Leutkirch und Wangen vorbei, war aber zum Leidwesen von Häberle noch immer
nicht durchgängig vierspurig – doch es sah ganz danach aus, als kämen die
Bauarbeiten voran. Während er wieder hinter Sattelzügen herfuhr und Susanne auf
dem Beifahrersitz tief durchatmete und im Schlaf ihre Position leicht
veränderte, dachte er über die kommenden Tage nach. So richtig wusste er
nämlich nicht, worauf er sich da einlassen würde. Nur eines war ihm bei allem,
was er in den vergangenen Wochen dienstlich erfahren hatte, ziemlich klar:
Sicherheitspolitisch musste ein großes Ding laufen – und wenn ihn sein Gespür
nicht trog, dann lagen diese Personen aus der Brummton-Szene mit ihren Vermutungen
gar nicht so falsch. Vielleicht hatte auch Linkohr mit seinen verrückten
Theorien nicht mal so unrecht … Häberle war in den vergangenen Wochen hin und
her gerissen gewesen. Aber wenn es stimmen sollte, dass es in diesem Münsinger
Truppenübungsplatz merkwürdige Vorgänge gab, dann waren Zusammenhänge mit den
Ereignissen um die Brummton-Clique keinesfalls so weit hergeholt, dachte er,
als das Wohnmobil die Stahlkonstruktion der Argenbrücke überquerte. Und dann
der Tod dieses Wissenschaftlers aus Münsingen – und jetzt dieses Steinbachs aus
Blaubeuren. Alles wohl Unfälle, an denen es nichts zu deuteln gab, zumindest
rein äußerlich. Aber Häberle war viel zu lange im Geschäft, hatte damals
während seiner Zeit in Stuttgart viel zu viele Kontakte zu den ›Diensten‹, als
dass er nicht wüsste, dass der großen und hohen Politik wegen vieles möglich
und denkbar ist. Bruhns seltsames Verhalten war auch ein Indiz dafür.
Häberle nahm sich vor, diesen Vollmer
aufzuspüren, dessen Adresse er hatte. Und er wollte diesen jungen Mann aus
Kalifornien ausfindig machen, aus Santa Monica, der diesen alten Golf gekauft
hatte, der übermorgen vor vier Jahren samt einer verkohlten Leiche bei
Hohenstadt gefunden worden war.
Der Kriminalist war auch fest
entschlossen, in jener Kneipe in Morcote vorbeizuschauen, in der Zeugen
angeblich Blühm erkannt haben wollten. Ja, und wenn er dann noch großes Glück
hatte, würde er vielleicht sogar diesen Armstrong treffen, den Vollmer als den
Chef bezeichnet hatte. Es gab also in diesen zweieinhalb Tagen, die ihm zur
Verfügung standen, genügend zu tun, befürchtete er und bedauerte, dass er für
Susanne wenig Zeit haben würde. Als er vor dem Pfänder-Tunnel die Autobahn in
Richtung Lindau verließ, um die österreichische Maut zu umgehen, schlief seine Frau
noch immer.
Obwohl er wusste, dass ihn die Umfahrung
des Tunnels mindestens eine dreiviertel Stunde kosten würde, nahm er die
schmale und stark frequentierte Strecke am Bodensee-Ufer entlang und durch
Bregenz hindurch in Kauf. Als sparsamer Schwabe, der er war, hielt er es
schlichtweg für eine Unverschämtheit der Österreicher, für die paar Kilometer
durch den Tunnel ein Tagesmaut-Pickerl erwerben zu müssen. Sollten die
Bregenzer halt vollends im Verkehr ersticken …
An der Schweizer Grenze wollte der Zöllner
zwar keine Pässe sehen, sondern verwies stattdessen darauf, dass an der
Windschutzscheibe noch keine Vignette klebte. Häberle war dies bewusst gewesen.
Wie immer, wenn er ins Tessin fuhr, kaufte er sich hier an der Grenze diese »Raubritter-Medaille«,
wie er sich stets verärgert auszudrücken pflegte.
Die Schweizer Autobahn war gepflegt und
hob sich, wie Häberle es empfand, inzwischen angenehm von den wessi-deutschen
Holperstrecken ab. Links und rechts ragten die Berge in die Höhe.
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