Trugschluss
von
Häberle gehört. Und auch Polizeipresse-Sprecher Uli Stock schien in der
Versenkung verschwunden zu sein. Man hatte den Eindruck, dachte Sander, als
seien alle mit einer Sache beschäftigt, die ihnen keine Zeit mehr fürs
Tagesgeschäft ließ.
So war der Fall Blühm langsam ganz aus den
Schlagzeilen verschwunden, wenngleich in der kommunalpolitischen Szene die
Diskussion über ihn nicht abgeebbt ist. Weil weiterhin Rätselraten herrschte,
was mit dem Kreisrat geschehen war, konnte auch sein Mandat nicht an einen
Nachfolger übergehen – zum Leidwesen der Konservativen, die nun schon seit
dreieinhalb Monaten einen Vertreter weniger im Kreisparlament sitzen hatten.
Die Spekulationen über sein plötzliches
Verschwinden nahmen immer wildere Formen an. Er sei in eine Parteispendenaffäre
in Stuttgart verwickelt gewesen, glaubten die einen zu wissen. Andere wiederum
behaupteten, er habe sich mit den Mineralölkonzernen angelegt, weil diese die
Preise mit illegalen Tricks in die Höhe gepuscht hätten. Jedenfalls wurde immer
deutlicher, dass Blühm Kontakte in alle Ebenen der Politik, der Wissenschaft
und der Industrie geknüpft hatte. Sander nahm sich vor, für Ende März, wenn das
mysteriöse Verschwinden dann vier Monate zurück liegen würde, eine
Zusammenfassung über derlei Gerüchte zu schreiben und ein offizielles Statement
der Polizei dazu einzuholen.
Aus solchen Gedanken, denen er an diesem
Freitagmittag in der Redaktion nachhing, als seine Kollegen in die nahe
Pizzeria gegangen waren, riss ihn der elektronische Ton des Telefons. Es war
eine Frauenstimme, die er kannte.
»Gott sei Dank krieg ich Sie.« Die
Anruferin klang aufgeregt, nervös, verängstigt. »Es wird immer schlimmer. Sie
müssen mir helfen.«
Es war Lilo.
Klar, Häberle hatte keinen Zweifel. Er kannte den Mann, der da
draußen auf dem Parkplatz des Bernardino-Tunnels zu einem alten knallroten Polo
ging.
»Jetzt sag doch schon, wer dich so
fasziniert? Eine rassige Südländerin?«, fragte Susanne lächelnd. Ihr August
verzog das Gesicht zu einem breiten Grinsen und sprang auf. »Der Brobeil ist
das, der Brobeil«, sagte er und riss die Seitentür des Wohnmobils auf. Eisige
Kälte schlug ihm entgegen.
Seine Frau konnte mit dem Namen zunächst
nichts anfangen.
»Der Pfarrer von der Lilo Neumann«,
erklärte ihr Mann im Wegrennen. Sie schaute ihm von der Tür aus nach und sah,
wie er einen roten VW-Polo erreichte, als dessen Fahrer gerade den Motor
startete.
Die Seitenscheibe wurde herabgekurbelt und
die beiden Männer wechselten einige Worte. Dann stellte der Fahrer den Motor
wieder ab und stieg aus. Er trug eine Jeans und eine blaue Winterjacke. Susanne
sah, dass sich die Männer freundschaftlich die Hände schüttelten und war
darüber erleichtert. Wenn ihr August derart losstürmte, wie er es gerade getan
hatte, musste sie stets mit dem Schlimmsten rechnen.
Er bat offenbar den Mann zum Wohnmobil,
womit dieser einverstanden war. Er verriegelte den Polo und folgte Häberle über
den Parkplatz.
Susanne erwartete ihn an der Tür, während
Häberle sie gegenseitig bekannt machte. Der schmächtige Brobeil verzog das
wettergegerbte Gesicht zu einem charmanten Lächeln und kletterte in das
Wohnmobil. Er setzte sich neben Häberle an den Tisch, während die Frau die Tür
wieder ins Schloss zog und die Standheizung einschaltete. Dann bot sie dem Besucher
ein Vesperbrot und ein Glas Apfelsaftschorle an. Brobeil griff sichtlich
erfreut zu.
»Haben wir uns nicht schon mal über
Zufälle unterhalten«, grinste Häberle und versuchte, seine Körperfülle etwas
einzudämmen, um dem Nebensitzer nicht allzu sehr zu beeinträchtigen.
Brobeil schmeckte das Käsebrot. »Es gibt
keine Zufälle«, erwiderte er bestimmend, »und jetzt werden Sie mich gleich
fragen, was ich hier tue, Herr Kommissar – stimmt’s?«
»Na ja – das liegt doch nahe, oder?«
»Was tun Sie denn hier?«, fragte Brobeil
zurück und runzelte die Stirn.
»Ich nehme an, dasselbe, wie Sie.« Häberle
zeigte sich schlagfertig.
»Lugano?« Der Theologe griff zum
Trinkbecher.
»Exakt«, bestätigte Häberle ebenso knapp, »vielleicht
könnten wir uns behilflich sein.«
Brobeil schaute ihn von der Seite an. »Wie
darf ich das verstehen?«
»Ich nehme an, Sie haben ebenso einen
guten Grund, ein Weekend im Tessin zu verbringen, wie ich auch – oder sollte
ich mich täuschen?«
»Machen wir uns nichts vor«, entschied der
Theologe, während Susanne das Gespräch der beiden
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