Trugschluss
Zentrum dessen sein, was wir
suchen. Bruno hatte Kontakte – und er hat, wie ich weiß, einen jungen Physiker
aus Ulm hierher vermittelt.«
»Vollmer«, bestätigte Häberle.
»Richtig. Ich hab vorgestern mit ihm
telefoniert.«
»Ach?« Der Kommissar staunte. »Hat er denn
was gesagt? Ich hab mal Anfang Januar mit ihm telefoniert, war aber nicht
ergiebig. Er hat mich an seinen Chef verwiesen – Armstrong, glaub ich, hat er
gesagt.«
»Stimmt, Armstrong«, bestätigte der
Theologe, der jetzt für Häberles Gefühl viel zu schnell fuhr, »der hat sich
auch schon auf der Alb rumgetrieben – auch das wissen wir.« Brobeil überlegte. »Vollmer
hat mir bestätigt, dass Blühm bei ihm sei, dies aber niemand wissen dürfe –
unter gar keinen Umständen. Blühm hat mächtig Schiss.«
Die enge Straße beschrieb eine Kurve nach
links. Scheinwerfer kamen entgegen.
»Wovor?«, wollte Häberle wissen.
»Vor denen«, meinte der Mann am Steuer und
bremste ab, »vor denen, die ihn seit einem Jahr attackieren, die ihm nach dem
Leben trachten. Wäre er nicht untergetaucht, so elegant, wie er’s gemacht hat,
medienwirksam, damit die Gegner wohl meinen sollten, irgendjemand habe ihn
weggelockt oder gekidnappt oder was weiß ich – wäre er jedenfalls nicht
abgetaucht, hätten wir ihn mit Sicherheit auch als tödliches Unfallopfer
irgendwo von einem Baum gekratzt …« Der Gegenverkehr war bewältigt.
»Und seine Frau. Warum um Gottes willen
lässt er sie so zappeln, seit über einem Vierteljahr?!«
»Das müssen Sie ihn selbst fragen. Fest
steht, sie hat für seine Forscherei wenig übrig gehabt. Um nicht zu sagen:
Nicht das geringste Verständnis.«
Der Kommissar verschränkte die Arme und
versuchte, eine bequemere Sitzposition einzunehmen, was ihm aber angesichts
seiner Körperfülle nicht gelang.
»Wer weiß«, überlegte Brobeil, »vielleicht
hat sie sich auch ganz anderen Dingen zugewandt.«
»Wie darf ich das verstehen?«
»Na ja, Herr Kommissar«, der Theologe
betonte das Wort auf besondere Weise, »immerhin hat Blühm doch die Bedrohungen
erst später der Polizei gemeldet …«
»Sie meinen doch nicht etwa …?« Häberle
wollte es nicht aussprechen.
Brobeil sagte nichts.
Es war ein lauer Abend. Morcote hatte auch jetzt im März, wenn es
noch frühzeitig dunkel wurde und nur wenige Touristen durch die Arkaden und
Gässchen flanierten, sein südländisches Flair. Kein Wunder, dachte Häberle,
dass sich in diesem Ort viele Prominente haben beerdigen lassen. Es war
wirklich ein herrliches Fleckchen Erde.
Brobeil hatte den roten Polo auf einen der
vielen freien Parkplätze gestellt, die neben der Ufermauer die schmale Straße
begrenzen. Von einem älteren Mann, dessen Gesicht südliche Abstammung verriet,
ließen sie sich den Weg zu dem gesuchten Lokal schildern. Es war durch die
spärlich beleuchteten Arkaden zu erreichen, in denen noch Postkartenständer und
Souvenirs jeglicher Art auf das geschäftige Treiben des Nachmittags
hindeuteten. In den Geschäften jedoch hielten sich nur noch vereinzelt
Touristen auf – und in den Restaurants und Pizzerien waren viele Plätze frei.
Die beiden Männer brauchten nur in eine
schmale Seitengasse abzubiegen und hatten ihr Ziel erreicht. Das Lokal, in dem
Blühm im Dezember von Zeugen gesehen worden sein sollte, wirkte von außen eher
unscheinbar. Innen aber umgab die Gäste eine heimelige Atmosphäre.
Häberle war vorausgegangen. Doch kaum
hatten sie das Lokal betreten, wurden sie von einer jungen Bedienung in Empfang
genommen, die ihnen mehrere Plätze zur Auswahl anbot. Häberle entschied sich
für ein Zweiertischchen, von dem aus sie so ziemlich den ganzen Raum
überblicken konnten. Auf dem Weg dorthin schaute sich der Kriminalist
unauffällig um. Drei Pärchen hatte er gezählt und zwei junge Männer, die an
einem der anderen Zweiertische Pizza aßen. Wenn einer davon Vollmer wäre,
wüssten sie es nicht mal, musste Häberle sich plötzlich eingestehen. Selbst bei
Blühm hätte er gewisse Probleme. Er hatte ihn allenfalls mal in der Zeitung
abgebildet gesehen. Hingegen hatte offenbar Brobeil in den vergangenen Jahren
öfters mit dem Vermissten zu tun gehabt.
Häberle setzte sich mit dem Rücken zur
Wand, hatte die Eingangstür im Blickfeld, drüben aber auch die Theke, hinter
der sich eine junge schwarzhaarige Frau gerade mit dem Entkorken einer
Weinflasche abmühte. Die Bedienung brachte die Speisekarte und entzündete die
Kerze, die auf dem Tisch stand.
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