Trugschluss
etwas gewesen wäre.«
»Dieser Joe«, begann Häberle wieder, »wie
hat der denn mit Nachnamen geheißen?«
»Clearwood – warum fragen Sie?« Anja wurde
misstrauisch.
Der Kommissar überlegte. Hätte er jetzt
nur die Akten parat, die im Wohnmobil lagen und die er ein bisschen
widerrechtlich mitgenommen hatte. Aber wenn ihn nicht alles täuschte, dann war
ihm dieser Name schon einmal untergekommen. Klar, das musste jener junge Mann
sein, der damals das Auto der Hohenstadter Leiche gekauft hatte – aus der
Konkursmasse heraus.
»Ist was?«, fragte Anja nach, weil Häberle
plötzlich still geworden war. Auch Brobeil wirkte für einen Moment ratlos.
Dann lächelte der Kommissar wieder und
verschränkte die Arme vor seinem voluminösen Bauch. »Und dieser Joe ist also
auch spurlos weg?«, wiederholte er. »Gibt es denn seine Wohnung noch. Ich
meine, er muss ja hier irgendwo gewohnt haben.«
Sie schüttelte den Kopf. »Nachdem er sich
nicht mehr gemeldet hat, war ich Wochen später mal dort – er hat am Monte Bré
drüben gewohnt –, aber da waren schon andere Leute eingezogen.«
»Diesen Joe«, überlegte der Kriminalist
laut, »gibt es zufällig ein Bild von ihm?«
Anja stutzte. »Wozu denn das?«
»Ich möchte ihn nur mal sehen. Hat nichts
zu bedeuten.«
Sie stand auf und ging mit wippendem
Pferdeschwanz zur Theke zurück.
»Haben Sie einen Verdacht?«, fragte
Brobeil süffisant.
»Verdacht? Nein, überhaupt nicht. Aber ich
mach mir immer gerne ein Bild von Personen, die irgendeine Rolle spielen.«
Anja kam mit einem kleinen Fotoalbum
zurück und schlug es auf. Sie deutete auf ein Farbbild, auf dem der junge Mann
in blauen Bermuda-Shorts und dunkelblauem T-Shirt zu sehen war. Er lehnte an
einem Geländer, hinter dem der Blick weit auf einen herrlich blauen See
hinabging – vermutlich auf den Luganer, dachte Häberle. Der Mann trug eine
jener dicken Hornbrillen, die offenbar zur Standard-Ausrüstung der US-Army
gehörten. Am Hals erkannte Häberle ein Schmuckstück, vermutlich ein
Goldkettchen, an dem eine kleine Kugel befestigt war.
Der Kriminalist nahm das Album und hielt
es dicht an die Augen, um bei dieser dezenten Beleuchtung die Details besser
sehen zu können. »Dieses Schmuckstück da«, sagte er, »hat das etwas zu
bedeuten?«
Anja warf einen kurzen Blick auf das Foto.
»Die Weltkugel meinen Sie?« Das Mädchen lächelte. »Das tragen die fast alle. Es
soll eine bessere und friedlichere Welt symbolisieren.«
Häberle legte das Album wieder zurück. Ihn
überkam plötzlich ein ungutes Gefühl.
Es war noch spät geworden in Morcote. Brobeil hatte den Kommissar
erst kurz vor zwei vor dem Campingplatz abgeliefert. Der Wein war stark
gewesen, stellte Häberle fest, als er in der lauen Nacht zum Wohnmobil ging und
es vorsichtig aufschloss, um Susanne nicht zu wecken. Sie aber hatte einen
unruhigen Schlaf, wie immer, wenn er unterwegs auf Ermittlung war.
62
Samstag, 13. März 2004.
Die Sonne strahlte abseits des San Salvatores in die Seebucht von
Agno herüber. Es war ein traumhafter Frühlingsmorgen. So frisch und jung konnte
diese Jahreszeit nur in diesem paradiesischen Tessin sein, dachte Häberle, als
er mit Susanne im Wohnmobil frühstückte. Ganze Entenscharen watschelten um die
Wohnwagen und warteten darauf, dass etwas Fressbares für sie abfiel. Ein wahres
Urlaubsidyll.
Heute wollten Häberle und Brobeil die
Wohnung Vollmers in Augenschein nehmen – und dann beim Flughafen dieses
geheimnisvolle Forschungszentrum erkunden. Susanne würde auf dem Campingplatz
bleiben und die Ruhe genießen. Das wollte sie im Liegestuhl und Krimi lesend
ganz vorne am See tun.
Häberle trank das Glas Orangensaft leer.
Dann stand er auf und fingerte nach dem Handy, das nachts in einer der oberen
Ablagen aufbewahrt wurde. Er wählte Linkohrs Privatnummer. Der meldete sich
bereits nach dem dritten Freizeichen und war höchst erfreut, die Stimme
Häberles zu hören.
Der Kommissar erklärte, wo er sich befand
und wen er getroffen hatte, was Linkohr sofort mit einem »Da haut’s dir’s Blech
weg« kommentierte. Auf Häberles Frage, was es Neues gebe, kam der junge
Kriminalist sofort auf Sanders heutigen Artikel in der Samstagsausgabe zu
sprechen. »Die Neumann behauptet, das Brummen nehme dramatisch zu«, sagte er. »›Phänomen
gibt neue Rätsel auf‹, lautet die Schlagzeile.«
Häberle ging nicht darauf ein. Er lehnte
sich zurück, während seine Frau in einer Illustrierten blätterte. »Eine
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